Sind Hochzeiten schuld an zweiter Corona-Welle in Israel?
Das Wichtigste in Kürze
- Israel hatte das Coronavirus unter Kontrolle, im Mai gab es im Land praktisch keine Fälle.
- Mittlerweile verzeichnet das Land mehr Infektionen als während der ersten Welle.
- Die Gründe dafür sind kultureller und politischer Natur.
Vom Musterschüler zum Problemkind – Israel befindet sich aktuell mitten in der zweiten Corona-Welle. Das Land registrierte den ersten Corona-Fall am 21. Februar. Premierminister Benjamin Netanjahu und seine Regierung beschlossen schnell den Lockdown und rigorose Massnahmen. Diese zeigten Wirkung – während der ersten Welle verzeichnete Israel nie mehr als 765 Fälle pro Tag.
Weltweit erntete das Land Lob für seine Reaktion, das Volk war zufrieden mit der Regierung. Bis Anfang Mai sanken die Fallzahlen, wurden gar einstellig. Das Coronavirus schien unter Kontrolle.
Zweite Welle begann Anfangs Juni
Doch im Juni kam die Wende: Die Zahlen stiegen wieder, aber die Regierung reagierte nur zaghaft. Das Ergebnis: Am gestrigen 22. Juli verzeichnete das Land 2043 neue Fälle – ein neuer Rekord.
Das wirft die Frage auf: Wie konnte Israel trotz einer guten Ausgangslage ungebremst in die zweite Welle schlittern?
Hochzeiten als Brandbeschleuniger
Es begann mit einer Rede von Benjamin Netanjahu. Am 18. April erklärte er das Virus für «besiegt». Zu diesem Zeitpunkt verzeichnete das Land noch immer rund 200 Fälle pro Tag, Tendenz sinkend. Er vermittelte seinem Volk den Eindruck, die Gefahr sei gebannt. Diesen Kurs fuhr er die nächsten Wochen weiter.
Nach den Öffnungen der Bars und Restaurants Ende Mai füllten sich Israels Strassen wieder. Die Menschen kamen zusammen, verhielten sich, als wäre das Coronavirus eine Sache aus der fernen Vergangenheit. Maskenpflicht? Gab es nur in Schulen, dort wurde sie aber kaum eingehalten. In der Folge registrierte Israel viele Ausbrüche in den Bildungseinrichtungen – der Beginn der zweiten Welle.
Als nächstes wurden per 14. Juni wieder Versammlungen bis zu 250 Personen erlaubt. Viele Experten halten diese Entscheidung für einen Brandbeschleuniger. Im Land fanden anschliessend zwischen dem 15. und 25. Juni über 2000 Hochzeiten statt.
Wie eine anonyme Regierungsquelle der «Washington Post» sagt, haben Regierungsforscher diese Events inzwischen als Haupttreiber der zweiten Welle identifiziert. «Die Gäste kommen aus dem ganzen Land. Sie umarmen sich, sie singen, sie tanzen. Das ist die ultimative Gelegenheit, Menschen anzustecken», so der anonyme Regierungsbeamte.
Frustrierte Experten
Gesundheitsexperten werten den zu schnellen Ausstieg als wichtigen Punkt, der zur zweiten Welle beigetragen hat. Sie warnten bereits Anfang Juni, dass die Regierung handeln müsse.
Mittlerweile sind zwar wieder neue Beschränkungen, wie Personengrenzen in Innenräumen, eingeführt worden. Doch für viele kommen diese zu spät und gehen zu wenig weit. Siegal Sadetzki, die höchste Beamtin im Gesundheitsministerium, trat Anfang Juli frustriert zurück.
Seilziehen in der Regierung
Die schwache Reaktion der Regierung hat aber auch politische Gründe. Verteidigungsminister Benny Gantz hatte während der ersten Welle das Sagen. Auch in der zweiten Welle wollte er wieder die Zügel übernehmen. Doch Premier Netanjahu wehrte sich. Seither gleicht die Situation einem Seilziehen zwischen den beiden Lagern.
Wie Israel so aus der zweiten Welle herausfinden will, ist nicht erkennbar. Denn auch beim Contact Tracing muss Israel nachbessern. Das Land setzt auf ein System, welches auch bei der Bekämpfung von Terrorismus eingesetzt wird. Dies sorgte für Kritik, dazu kommt, dass das Tracing eher schlecht als recht funktioniert.
Umstrittenes Gesetz kommt
Netanjahu kündigte bereits an, bei mehr als 2000 Neuinfektionen pro Tag härtere Massnahmen zu beschliessen. Dies ist am Mittwoch eingetroffen.
Das Parlament billigte in der Nacht zum Donnerstag ein umstrittenes Gesetz. Dieses gibt der Regierung die Erlaubnis, rasche Entscheidungen im Kampf gegen das Coronavirus zu fällen. Das Gesetz tritt am 10. August in Kraft.