Taliban nach Beginn des Truppenabzugs bereits auf dem Vormarsch
Das Wichtigste in Kürze
- Am 1. Mai hat der Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan begonnen.
- Seitdem sind die Taliban auf dem Vormarsch.
- Während die Taliban ein Hoch erleben, hat die Regierung einen schweren Stand.
- Die Rückkehr der Taliban hätte einen hohen Preis.
Am 1. Mai hat der Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan begonnen. Nicht einmal drei Wochen später sind die Taliban bereits auf dem Vormarsch: Mit dem Beginn des Truppenabzugs hat sich der Bürgerkrieg im Land wieder verschärft.
Heute meldeten die Presseagenturen, dass die Taliban einen weiteren Bezirk eingenommen haben. Während die Taliban seit dem Abzug ein Hoch erleben, bröckelt die Macht der Regierung in Kabul.
Taliban gewinnen Land
2001 marschierten westliche Truppen unter der Führung der Vereinigten Staaten in Afghanistan ein. Seitdem halten sich westliche Streitkräfte im zentralasiatischen Land auf. Bis zum 11. September, dem zwanzigsten Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center, sollen alle westlichen Truppen das Land verlassen haben.
Ziel des Einsatzes war zu Beginn, die Taliban, welche einen islamischen Gottesstaat errichtet hatten, zu entmachten. Doch die neu eingesetzte Regierung konnte ihre Macht auch 20 Jahre später nur bedingt durchsetzen: Auch vor Beginn des Truppenabzugs kontrollierten die Taliban Teile des Landes.
Seit dem 1. Mai haben die Taliban nun mehrere Offensiven begonnen: So konnten sie in Gefechten mit der afghanischen Armee drei Bezirke übernehmen. Unter ihnen ist auch der strategisch wichtige Bezirk Nerch nahe der Hauptstadt Kabul. Es scheint, als sei die afghanische Armee ohne militärische Hilfe des Westens den Taliban nicht gewachsen.
«Phase der Arroganz»
«Die Taliban sind gerade in einer Phase der Arroganz», erklärt Hamdullah Mohib, nationaler Sicherheitsberater Afghanistans, gegenüber «10 vor 10». Im Verständnis der Taliban sei der westliche Truppenabzug ihr Sieg. In ihren eigenen Worten sehen sie sich nun als eine «Supermacht», so Mohib. Man sei sich sicher, dass die Taliban nun ihren Kampf intensivieren würden.
Für den Regierungsvertreter Mohib ist klar: Der Ausweg kann nur ein Dialog sein. Doch in der aktuellen Offensive der Taliban werden die Konditionen vorerst auf dem Schlachtfeld bestimmt.
40 Jahre Bürgerkrieg auf Kosten der Zivilbevölkerung
Inzwischen herrscht seit über 40 Jahren Bürgerkrieg in Afghanistan. Aus politischen Unruhen Ende der 70er Jahre kämpfen religiöse und weltliche Kräfte um die Vormacht. Der ewige Krieg hat tiefe Wunden hinterlassen: Mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Jahreseinkommen von 2200 US-Dollar ist es das ärmste Land Asiens.
Viele Einwohner sind angesichts dessen bereit, mit den Taliban zu verhandeln, um den Krieg zu beenden. Doch sollten die Taliban zumindest wieder an der Macht beteiligt werden, hätte das seinen Preis. Als die Taliban an der Macht waren, war Afghanistan ein islamischer Staat mit religiös-konservativer Rechtsordnung. Entsprechend konnten beispielsweise Frauen kaum am öffentlichen Leben teilnehmen.