Überreste von Ureinwohner-Kindern auf kanadischem Internat entdeckt
Es ist eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte Kanadas: Spezialisten fanden bei einem ehemaligen Internat die Überreste von 215 Kindern.
Das Wichtigste in Kürze
- Bei einem ehemaligen kanadischen Internat wurden die Überreste von 215 Kindern entdeckt.
- Das Internat diente zwischen 1890 und 1978 als Umerziehungscamp für Ureinwohner-Kinder.
- Der Fund löste in der kanadischen Politik eine Welle von Beileidsbekundungen aus.
Ein Fund, der die Nation schockiert: Auf dem Grundstück eines ehemaligen Internats im Westen Kanadas haben Spezialisten mit Radargeräten Überreste von 215 Kindern entdeckt. Es sei eine sehr schmerzhafte Nachricht, die alte Wunden offenlege. Das schrieb Perry Bellegarde, der oberste Vertreter der indigenen Völker des Landes, am Wochenende auf Twitter.
Das Internat war zwischen 1890 und 1978 in Betrieb. Es diente als sogenannte Residential School – als eine Art Umerziehungscamp für die Söhne und Töchter kanadischer Ureinwohner. Die Kinder galten offiziell als vermisst. Doch die Menschen, die in der Gegend nahe der Stadt Kamloops leben, hatten das Schlimmste befürchtet.
CRRF is deeply dismayed at the recent report of 215 bodies found at the former Kamloops Indian Residential School in British Columbia. It is time we give these children the honour & respect now that they never received in their short lives. @perrybellegarde #MMIWG pic.twitter.com/3rb5hEgAVX
— CRRF | FCRR (@CRRF) May 28, 2021
«Niemand sprach darüber, aber wir alle ahnten, was geschehen war.» Das sagte Rosanne Casimir, die Leiterin der in Kamloops beheimateten indigenen Gruppe, am Wochenende in einer Pressekonferenz. «Diese Ahnung hat sich nun bestätigt.»
Der Tod der Jungen und Mädchen sei ein «unvorstellbarer Verlust». Einige von ihnen wurden laut Casimir nur drei Jahre alt. Woran und wann sie starben, sei noch unklar.
150'000 Kinder wurden ihren Familien entrissen
Es handelt sich um eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte Kanadas: Über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren entriss die Regierung fast 150'000 Kinder ihren Familien. Anschliessend steckte sie die Kinder in Internate.
Dort sollten sie ihre Kultur vergessen – ihre Feste, Lieder, Sprache, Religion – und die Traditionen der europäischen Einwanderer erlernen. Gewalt, Zwangsarbeit und sexueller Missbrauch waren dabei an der Tagesordnung.
Die Residential School bei Kamloops war nach Angaben von Casimir die grösste in Kanada. Sie wurde zunächst von der katholischen Kirche betrieben, später von der Regierung. Bis zu 500 Jungen und Mädchen hätten dort gelebt – unter schlimmen Bedingungen.
Kinder litten unter Hunger
Viele von ihnen litten unter Hunger, weil die Regierung nicht ausreichend Geld für die Verpflegung zur Verfügung stellte. Den Tod der Kinder, deren Überreste nun gefunden wurden, habe die Schulleitung nie dokumentiert.
Der Fund löste in der kanadischen Politik eine Welle von Beileidsbekundungen aus. «Die Nachricht bricht mein Herz», schrieb Premierminister Justin Trudeau auf Twitter. Carolyn Bennett, Ministerin für die Beziehungen zu den Ureinwohnern, sprach von einem «tragischen und beschämenden Teil» der Geschichte ihres Landes. «Tausende Kinder wurden in diese Schulen geschickt und kehrten nie zu ihren Familien zurück.»
Trudeau hatte sich im Jahr 2017 unter Tränen bei den indigenen Völkern entschuldigt. Dem Verband IRSSS, der Überlebende der Residential Schools vertritt, genügt das nicht. Co-Chef Rick Alec wandte sich am Wochenende an die katholische Kirche, die viele der berüchtigten Internate betrieb. Der Papst müsse die Frage beantworten, warum man den kanadischen Ureinwohnern so etwas angetan habe, sagte Alec dem TV-Sender CBC.
Mehr als 6000 Kinder verloren ihr Leben
Im Jahr 2015 veröffentlichte eine kanadische Regierungskommission einen Bericht, der das Leid in den Internaten detailliert beschrieb. Darin finden sich auch Erfahrungsberichte aus Kamloops. «Jeder Schüler roch nach Hunger», wird ein Überlebender zitiert.
Zudem wird die Einrichtung als extrem unhygienisch beschrieben. Viele Kinder, heisst es, seien an Masern, Tuberkulose oder Grippe gestorben. Insgesamt verloren in den Residential Schools dem Report zufolge mehr als 6000 Jungen und Mädchen ihr Leben.