Wie vertrauenswürdig ist das Wahlergebnis in Venezuela?
Das offizielle Ergebnis der Präsidentenwahl in Venezuela hat international Zweifel ausgelöst. Führende Politiker in den USA und in lateinamerikanischen Ländern sprachen Bedenken aus, wohingegen die Staatschefs von Kuba, Nicaragua, China oder Russland dem autoritären Präsidenten Nicolás Maduro gratulierten.
Sowohl Maduro als auch die Opposition sehen sich als Gewinner der Präsidentenwahl. Der Nationale Wahlrat (CNE) des südamerikanischen Krisenlandes erklärte Maduro mit 51,2 Prozent der Stimmen zum Wahlsieger. Die Opposition erkannte das offizielle Ergebnis nicht an und erhoben für ihren Kandidaten – den Ex-Diplomaten Edmundo González Urrutia – Anspruch auf das Präsidentenamt.
Oppositionsführerin María Corina Machado sagte, González sei auf 70 Prozent und Maduro nur auf 30 Prozent der Stimmen gekommen. Sie berief sich dabei sowohl auf Nachwahlbefragungen und vier unabhängige Hochrechnungen als auch auf die tatsächlichen Auszählungsergebnisse.
Warum ist die Wiederwahl für Maduro so wichtig?
Jedes andere Ergebnis hätte massive Folgen für Maduro. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ermittelt gegen seine Regierung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die USA haben 2020 Anklage gegen den Präsidenten und mehrere seiner Vertrauten erhoben und werfen ihnen Drogenhandel und Geldwäsche vor.
Wie vertrauenswürdig ist die Wahlkommission?
Beobachter gingen schon vor der Abstimmung nicht davon aus, dass die Wahl frei und fair ablaufen würde. Die Wahlbehörde, die 2023 von der Nationalversammlung neu ernannt wurde, besteht aus fünf Mitgliedern, von denen drei mit dem Chavismus und zwei mit der Opposition verbunden sind. Die von dem verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez gegründete und heute von Maduro fortgeführte politische Bewegung regiert das Land bereits seit 25 Jahren.
Welche Argumente führt die Opposition auf, dass es nicht fair zuging?
Maduro selbst bezeichnete das Wahlsystem in Venezuela gerne als das «zuverlässigste, transparenteste und sicherste Wahlsystem der Welt». Auch die Opposition glaubt an das System, ihr Misstrauen gilt allerdings denjenigen, die das System bedienen, und dem, was vor und nach der Wahl geschieht.
Die Stimmabgabe in Venezuela erfolgt über elektronische Wahlmaschinen. Nachdem der Wähler seine Stimme bestätigt hat, druckt die Maschine eine Papierquittung aus, die dann in eine andere Wahlurne geworfen wird. Nach Schliessung der Wahllokale vergleichen die Inspektoren die elektronisch ausgezählten Stimmen mit den hinterlegten Papierbelegen. Dies wird in mindestens 50 Prozent der Wahllokale überprüft.
«Bislang wurde keine einzige Ergebnisliste gefunden, die von dem abweicht, was der CNE veröffentlicht hat», sagt der Wahlsystem-Experte Eugenio Martínez laut BBC. Entscheidend sei aber der Zugang zu diesen Listen: Da klagt die Opposition, dass sie diesen nur bei 40 Prozent der Ergebnislisten hatte. «Hier wurde gegen alle Regeln verstossen», sagte Präsidentschaftskandidat González.
Welche Parallelen und Unterschiede gibt es zur letzten Wahl?
Maduros Wahl im Jahr 2018 war von den meisten westlichen Ländern nicht anerkannt worden. Die Opposition hatte wegen fehlenden Vertrauens in die Wahlbedingungen nicht teilgenommen. Der zur Opposition zählende damalige Parlamentspräsident Juan Guaidó erklärte sich 2019 zum Interimspräsidenten, konnte sich aber im Land nicht durchsetzen – vor allem, weil das Militär hinter Maduro stand.
Anders als damals ist es der Opposition dieses Jahr allerdings gelungen, sich hinter einem einzigen Kandidaten zu versammeln, nachdem jahrelange innerparteiliche Spaltungen und Wahlboykotte ihre Ambitionen, die Regierungspartei zu stürzen, torpediert hatten.
Wie geht es weiter?
Das ist zunächst schwierig zu beantworten. «Unser Kampf geht weiter, und wir werden nicht ruhen, bis der Wille des venezolanischen Volkes respektiert wird», sagte González nach Bekanntgabe des Ergebnisses. «In den nächsten Tagen werden wir unsere Massnahmen ankündigen, um die Wahrheit zu verteidigen, denn wir haben gesagt, wir gehen bis zum Ende», sagte Oppositionsführerin Machado.
Die jahrelange politische Krise in dem erdölreichen südamerikanischen Land dürfte sich damit noch einmal verschärfen. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Mehr als sieben Millionen Menschen haben Venezuela nach UN-Angaben in den vergangenen Jahren wegen Armut und Gewalt verlassen. In einer weiteren, sechsjährigen Amtszeit von Maduro könnten es noch mehr werden.