WM 2022: Freude in Argentinien «geht noch vier Jahre weiter»
Argentinien feiert den Gewinn der WM 2022 ausgelassen und vereint. Doch das Land befindet sich in einer schweren Krise. Wie lange spendet der Titel noch Trost?
Das Wichtigste in Kürze
- Argentinien feiert vereint den Gewinn der Weltmeisterschaft in Katar.
- Parallel dazu befindet sich das Land in einer schweren Krise.
- Während für viele die harte Realität wieder eintrifft, soll die WM-Freude andauern.
Gefühlt jeder Anhänger der «Albiceleste» befindet sich am Dienstag in Buenos Aires. Argentinien empfängt an diesem Tag seine Helden, die nach der WM 2022 mit dem Pokal zurück in der Heimat sind.
Über vier Millionen Menschen versammeln sich auf den Strassen der argentinischen Hauptstadt. Es sind so viele, dass der Siegerbus erst kaum vorankommt und die Spieler schliesslich im Helikopter über die Hauptstadt fliegen.
Unter ihnen singen, tanzen, weinen und jubeln Millionen von Argentiniern – gemeinsam.
Krise in Argentinien «ist fast Alltag»
Ansonsten ist die Stimmung im südamerikanischen Land aber ziemlich das Gegenteil. Die argentinische Gesellschaft leidet unter einer Inflation, die sich in einer Höhe von über 80 Prozent befindet. Fast jeder Zweite lebt mittlerweile unter der Armutsgrenze.
Unzählige Argentinier kämpfen um ihre Existenz. Die Entwertung des argentinischen Pesos führt dazu, dass viele kaum Erspartes haben oder dieses nicht in Dollar anlegen können.
«In Argentinien wiederholt sich das immer wieder», sagt Melina Teubner, Dozentin für lateinamerikanische Geschichte an der Universität Bern, gegenüber Nau.ch. «Krise ist fast Alltag.»
Dazu kommt die politische Spaltung, die die Argentinier in zwei Lager teilt: Zum einen in jenes des amtierenden Präsidenten Alberto Fernández und seiner Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Zum anderen in das von Fernández' Vorgänger, Mauricio Macri.
Entweder werde das jeweilige Lager «verehrt, oder es wird gehasst», erklärt Melina Teubner. Das habe sich beispielsweise gezeigt, als im September ein Attentat auf Vizepräsidentin Kirchner verübt wurde.
Schliesslich spiegle sich die Spaltung auch in den Medien wider. Es herrsche ein gewaltbereites und hasserfülltes Klima, so Teubner.
Nach WM 2022: «Sorgen sind wieder da»
Doch: «Im Fussball kommen alle zusammen und präsentieren das Land gemeinsam gegen aussen.» Die WM sei praktisch «das wichtigste öffentliche Ereignis».
Das habe sich schon im Herbst gezeigt. Im südamerikanischen Land sei die WM 2022 präsenter gewesen als beispielsweise hierzulande, schildert Teubner aus eigener Erfahrung.
Wie lange aber kann die Freude über den grossen Triumph den angeschlagenen Argentiniern noch Trost spenden? «Für viele sind die Sorgen bereits wieder zurückgekommen», sagt Melina Teubner. Nach der Ablenkung setze sich der Kampf ums tägliche Überleben fort.
Die Freude über den Gewinn der WM 2022 werde dadurch aber nicht erstickt, sondern verlaufe parallel. Und das soll bis zur nächsten WM so sein. «Die Freude über den Titel geht sicherlich noch vier Jahre weiter.»