Zwischen Partys und Raketen: Sommer voller Paradoxe im Libanon

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Libanon,

Im Libanon herrscht trotz der eskalierenden Gewalt an der Grenze zu Israel und der schwersten Wirtschaftskrise des Landes eine paradoxe Stimmung.

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Blick auf Beirut. (Archivbild) - Keystone

«Sich am Strand zu sonnen, obwohl wir die Raketen knallen hören, das ist ein Akt des Überlebens in einem Land, in dem nichts funktioniert», sagt Batul Ezzedine. Ein paar Stunden unbeschwerte Freude, ein paar Stunden Ablenkung, das ist alles, was sie sich wünscht. Sie sitzt wie viele andere Menschen an diesem Tag am Sandstrand von Tyrus im Süden des Libanons und sonnt sich in der sengenden Hitze.

Nur wenige Kilometer entfernt befindet sich die israelische Grenze. Dort gibt es seit Monaten einen Krieg, der kurz vor der Eskalation stehen könnte. Oft sieht man Rauchschwaden in der Ferne im Himmel aufsteigen, die Hinweise darauf geben, was dem Küstenort Tyrus selbst oder auch der Hauptstadt Beirut schon bald blühen könnte.

Tägliche Gefechte

Seit dem 8. Oktober, kurz nachdem der Krieg in Gaza ausgebrochen war, kommt es zwischen der Hisbollah-Miliz im Libanon und dem israelischen Militär täglich zu Gefechten. Die Hisbollah handelt in Solidarität mit der ihr verbündeten Hamas und feuert jeden Tag Raketen auf Nordisrael. Aufhören will sie erst, wenn es auch in Gaza zu einem Waffenstillstand kommt.

Israel feuert im Gegenzug auf sämtliche Ziele der Miliz. Dabei wurden bisher mehr als 400 Menschen im Libanon getötet, ein Grossteil davon Hisbollah-Mitglieder. Aber auch über 80 Zivilisten kamen ums Leben. Bei Angriffen aus dem Libanon wurden rund 30 Israelis getötet, darunter waren Soldaten und elf Zivilisten.

Ein Land, «in dem nichts logisch ist»

Zuletzt spitzten sich die gegenseitigen Drohungen zu. Israels Verteidigungsminister Joav Galant will den Libanon «zurück in die Steinzeit» versetzen. Während Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah ankündigte, seine Kämpfer würden «ohne Einschränkungen, Regeln und Grenzen zurückschlagen», sollte dem Libanon ein Krieg aufgezwungen werden.

Dennoch sind die Klubs voll. In den Bars Beiruts ist kaum ein freier Platz zu finden. Die Musik dröhnt, die Luft ist stickig, die Stimmung ausgelassen.

«Wenn ich der Logik folge, sollte ich nicht hier in dieser Kneipe sitzen», sagt die 25-jährige Tamara, während sie an einem Getränk in einer Bar im Kneipenviertel Mar Mchail nippt. «Aber wir leben in einem Land, in dem nichts logisch ist. Das Leben ist zu kurz und ich muss es geniessen.»

«Es ist wirklich alles zu viel, genug ist genug»

Ähnlich denkt der 23 Jahre alte Asis. «Ich will mich mal wieder wie ein Mensch fühlen. Endlich mal wieder was machen, was andere Menschen in meinem Alter machen», sagt er. «Es ist wirklich alles zu viel, genug ist genug.»

Denn es ist nicht nur der Krieg, der das kleine Mittelmeerland erdrückt. Gleichzeitig kämpft der Libanon mit der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte und einem extremen Wertverlust der lokalen Währung. Es herrscht ein politisches Vakuum.

Seit über einem Jahr sucht das Land nach einem Präsidenten. Nur eines von vielen Problemen im Libanon, das mit der Zeit einfach akzeptiert wurde. Und kaum noch Beachtung findet.

So viele Ankünfte am Flughafen wie im Vorjahr

Schaut man sich in sozialen Medien um, könnte man den Eindruck bekommen, der Libanon sei der Geheimtipp für den Sommer, das «verborgene Juwel», nach dem sich Urlauber sehnten – besonders in diesem Jahr. Ein Video nach dem anderen preist die Schönheit des Landes an, zeigt die beeindruckenden Wasserfälle, die überteuerten Beachklubs, die wie jene auf Bali, in Marokko oder Spanien anmuten. Wer auf Instagram und Co. im Libanon etwas auf sich hält, geizt nicht mit Content, der beweisen soll: «Im Libanon ist es sicher und wunderschön – kommt und seht selbst!»

Von einem Krieg, der schon bald das ganze Land in Beschlag nehmen könnte, ist auch am Flughafen Beirut wenig zu spüren. Täglich kommen hier Dutzende Flieger aus dem Ausland an. «Allein im Juni hatten wir 408'000 Ankünfte, das sind tolle Zahlen», sagt Fadi al-Hassan, Generaldirektor für zivile Luftfahrt am Flughafen. Im Vorjahr seien die Zahlen auf dem gleichen Niveau gewesen.

Die jüngsten Spannungen hätten «bislang keinen Einfluss auf die Zahl der Ankünfte» gehabt. Viele der Ankommenden dürften aber Libanesen sein, die im Ausland leben. Deutschland hingegen ist eines von vielen Ländern, das schon seit Längerem mit der höchsten Sicherheitsstufe vor einer Einreise in den Libanon warnt und gleichzeitig alle im Libanon lebenden deutschen Staatsbürger zur Ausreise aufruft.

Südlibanon kämpft: Touristenströme fliessen in den Norden

Das Tourismusgeschäft in diesem Jahr läuft für viele Betreiber im Süden des Landes schlecht. «Die meisten meiner Kunden kommen aus Beirut oder anderen grösseren Städten her. Jetzt kommt keiner mehr und ich kann sie verstehen», sagt Restaurantbesitzer Ghassan Hudrudsch in Tyrus. «Es ist hier gerade alles andere als toll.»

Statt an den Strand von Tyrus zieht es die Libanesen und alle, die aus dem Ausland angereist sind, an die nördlichen Küsten des Landes. Der Küstenort Batrun galt schon vor dem Krieg in Gaza als Sommer-Hotspot im Libanon. Viel geändert hat sich daran in diesem Jahr nicht. Wer keine Nachrichten verfolgt, würde nicht glauben, dass nur 150 Kilometer weiter südlich täglich Raketen fliegen und ganze Ortschaft zerstört wurden.

Kommentare

User #5799 (nicht angemeldet)

Dürfen die party?

User #5730 (nicht angemeldet)

Libanon einwohner leben seit mehr als 20 jahren so... es ist wirklich erstaunlich...habe dies auch so erlebt.

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