Online-Dating kann sogar zu einer Art Burnout führen
Zum Online-Dating gehören oft auch viel Stress und Frust. Dies kann gemäss der Paartherapeutin und Psychologin Wera Aretz zu einem Dating-Burnout führen.
Das Wichtigste in Kürze
- In der heutigen Zeit verläuft die Partnersuche oft über Dating-Apps.
- Das Online-Dating kann jedoch zu viel Stress und sogar Burnout-Symptomen führen.
- Ursachen sind unter anderem falsche Erwartungen, Ghosting und Schwindel.
In einer Hand liegt das Smartphone, die andere öffnet die App. Der Blick fällt auf ein fremdes Gesicht. Nur wenige Sekunden vergehen, bevor die Entscheidung fällt: Gefällt mir diese Person – oder nicht? Dann geht es Klick auf Klick.
Online-Dating ist längst kein neues Phänomen. 20 Millionen Menschen in Deutschland haben Tinder, Parship, Bumble und Co. bereits genutzt. Dies geht aus einer Umfrage des IT-Branchenverbands Bitkom von 2022 hervor.
Rund 60 Prozent davon haben demnach schon einmal eine oder mehr feste Beziehungen über das Online-Dating gefunden. Bitkom Research hatte 1005 Menschen in Deutschland ab 16 Jahren befragt.
Unsicherheit bei jungen Menschen
Insbesondere junge Menschen fühlen sich angesichts der vielen Optionen bei der Partnersuche oft unsicher. Das fand eine Untersuchung aus Indien heraus, die kürzlich bei einer Konferenz in Prag präsentiert wurde. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer von meist 18 bis 30 Jahren gab an, bei der Partnersuche irritiert zu sein – Frauen häufiger als Männer.
Gründe könnten den Forschern zufolge bearbeitete Fotos und die Vielzahl der Optionen im Internet sein. Wenn man dort täglich mit manipulierten Bildern konfrontiert sei, steige bei vielen Menschen die Erwartung an potenzielle Partner.
Hinzu komme die Masse an möglichen Partnern in Dating-Apps und sozialen Medien, berichtet das Team um Chayan Munshi von der Ethophilia Research Foundation in Santiniketan. In sozialen Medien werden junge Menschen demnach zudem oft mit sexuell stimulierenden Inhalten überschüttet. Auch das verschiebe die Realität und die Erwartungen an potenzielle Partner und Partnerinnen.
Dating-Burnout
Wera Aretz, Paartherapeutin und Psychologin an der Hochschule Fresenius in Köln, warnt vor einem Dating-Burnout. Anhaltender Stress und Frust beim Online-Dating könnten zu dem psychosomatischen Syndrom führen, schreibt sie im «Journal of Business and Media Psychology».
Dating-Burnout sei zwar keine eigenständige Krankheit, äussere sich aber unter anderem in emotionaler Erschöpfung, Zynismus und verminderter Leistungsfähigkeit. Betroffen seien schätzungsweise 14 Prozent der Nutzer von Dating-Plattformen.
Risikofaktoren sind besonders die Monotonie beim immer wieder Über-den-Bildschirm-Wischen, um eine interessante Person kennenzulernen. Manche Menschen würden stundenlang Profile lesen, dieselben Nachrichten schreiben und am Ende ohne Date dastehen.
Auch Ghosting, also plötzlich ignoriert oder geblockt zu werden, stelle ein Risiko für Dating-Burnout dar. Ghosting kann jeden treffen – beim Texten oder nach einer Verabredung. Anfällig für Dating-Burnout sind laut Studie besonders diejenigen, die ohnehin ein geringes Selbstwertgefühl oder Bindungsängste haben.
Gerecht ist das Ganze ohnehin nicht: «Online-Dating ist überhaupt nicht fair», sagt Johanna Degen, Sozialpsychologin und Paartherapeutin in Flensburg. «Online-Dating ist super sexistisch und diskriminierend. Sie sehen ja auf den Dating-Apps auch kaum Menschen mit Behinderung.»
Schummeln, Lügen und Optimieren
Vielleicht gerade deshalb möchten Menschen sich von ihrer besten Seite präsentieren und von anderen abheben, meint Degen. Sie warnt aber: «Je mehr ich mein Profil optimiere, desto mehr Stress habe ich, weil ich mit dieser perfekten Version von mir selbst als Identität und beim Date dann auch damit konfrontiert werde, die Enttäuschung beim Anderen zu erleben.»
Paartherapeutin Aretz kennt diese Selbstoptimierung auch von ihren Klienten. Männer schummelten bei ihrer Grösse, Frauen hingegen verjüngten sich auf ihren Profilen. Auch beim Bildungsstand wird getrickst, und dass das Gegenüber wirklich Single ist, kann auch gelogen sein.
Mehrgleisig fahren
Und das ist anscheinend keine Seltenheit. Die Forscher aus Indien fanden heraus, dass sogar manche Menschen, die bereits in einer festen Partnerschaft sind, Dating-Plattformen nutzen. Aretz sagt, trotz Partnerschaft zu daten, sei jedoch nicht immer schlimm. Unter bestimmten Voraussetzungen, wie etwa einer offenen Beziehung, könne solches Online-Dating auch etwas Positives sein.
Oder wenn man gemeinsam als Paar mit einer dritten Person seine Sexualität erforschen wolle. Aber: «Wenn man davon ausgeht, dass ein Partner nicht weiss, dass der andere Partner Online-Dating betreibt, kann es natürlich zu grossen Irritationen kommen», sagt die Psychologin.
Die weltweite Auswahl
Einen generellen Vorteil der virtuellen Partnersuche sieht Aretz darin, dass man so auch über weite Distanzen potenzielle Partner kennenlernen kann. So führe Online-Dating dazu, dass es mehr Paare mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen gebe. Auch spielten gesellschaftliche Schichten eine geringere Rolle.
«Die grösste Chance ist, dass wir auf eine sehr bequeme und spielerische Art nebenbei mit einer schier unglaublich grossen Anzahl von Personen in Kontakt kommen, die wir auf dem Weg zum Studium, zur Arbeit oder im Supermarkt nicht kontaktieren könnten. Und zwar auch noch Leute mit unterschiedlichem soziokulturellem Hintergrund», sagt die Psychologin. «Ich kann ja per Klick Leute in Indien, in der Türkei, in Griechenland – auf der ganzen Welt kennenlernen.»
Und auch, wenn es ein anhaltendes Vorurteil ist: Auf Dating-Apps suchen Menschen nicht nur nach einmaligen sexuellen Bekanntschaften – One-Night-Stands. Die Bitkom-Umfrage hat ergeben, dass sich nur sechs Prozent der Nutzer Sex zum Ziel gesetzt haben. 71 Prozent sehnen sich nach einer festen Beziehung.
Wie datet man erfolgreich?
Einige Paartherapeuten empfehlen kostenpflichtige Apps, um seine bessere Hälfte zu finden – Bezahlende meinten es ernster. Für junge Menschen ist es Aretz zufolge jedoch mitunter besser, Gratisseiten wie Tinder oder Okcupid zu verwenden. Die Zielgruppe dort sei nämlich jünger.
Natürlich ist jeder Mensch anders und hat individuelle Wünsche an einen Partner oder eine Partnerin. Wichtig sei, sich nicht zu verstellen, sagt Aretz. Man solle beispielsweise nicht nur die besten Bilder von sich selbst auswählen und die besten Eigenschaften von sich aufzählen.
Man müsse nur denen gefallen, an denen man selbst interessiert sei. Um die richtige Person zu finden, müsse man alle anderen mithilfe der eigenen Ehrlichkeit aussortieren: «Um die Nadel im Heuhaufen zu finden, musst du den Heuhaufen abbrennen.»