Alexej Nawalny: Mithäftling spricht über die letzte Nacht
Alexej Nawalny ist tot. Das bestätigte eine Sprecherin unter Berufung auf seine Mutter. Ein Mithäftling spricht von ungewöhnlichen Vorgängen im Gefängnis.
Das Wichtigste in Kürze
- Alexej Nawalnys Tod ist nun auch durch sein Team bestätigt worden.
- Seine Mutter reiste in das Straflager, wo der Kremlgegner gestorben ist.
- Der Kreml-Gegner soll an einem «plötzlichen Herztod» gestorben sein.
Eine Sprecherin von Alexej Nawalny hat bestätigt, dass der russische Kremlgegner tot ist. Aus einem Dokument, das seine Mutter Ljudmila erhalten hat, geht hervor, dass er am 16. Februar um 14.17 Uhr Ortszeit starb.
Sprecherin Kira Jarmysch teilte die Nachricht am Samstagvormittag auf X (ehemals Twitter). Nawalnys Mutter war in das Straflager gereist, wo der Oppositionsführer gestorben ist.
«Alexej Nawalny wurde ermordet», schrieb Jarmysch. Seine Leiche befindet sich bei Ermittlern in der Stadt Salechard. Demnach konnte die Mutter die Leiche zunächst nicht identifizieren.
Salechard liegt rund 50 Kilometer vom Straflager entfernt. Mitarbeiter des staatlichen Ermittlungskomitees hätten die Leiche abgeholt, teilte Jarmysch weiter mit. «Wir fordern, dass der Körper von Alexej Nawalny der Familie umgehend übergeben wird», sagte seine Sprecherin.
Die Strafvollzugsanstalt habe der Mutter später mitgeteilt, dass Nawalny einen «plötzlichen Herztod» erlitten hatte. Das meldete Nawalnys Verbündeter Iwan Schdanow auf X.
При этом, когда адвокат и мама Алексея сегодня утром приехали в колонию, им сказали, что причина смерти Навального: синдром внезапной смерти.
— Ivan Zhdanov (@ioannZH) February 17, 2024
Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch hatte zuvor auf X geschrieben, dass die Anwälte über den Abschluss der Untersuchung informiert worden seien. Man habe keine Straftat festgestellt. Dazu schreibt sie: «Sie lügen buchstäblich jedes Mal, treiben uns im Kreis herum und verwischen ihre Spuren.»
Mithäftling spricht von Razzia
Ein anonymer Mithäftling Nawalnys hat in der europäischen Ausgabe der «Nowaja Gaseta Europe» unterdessen von Ereignissen der letzten Tage gesprochen. Unabhängig konnten die Angaben nicht überprüft werden.
Am Abend des 15. Februars hätten Gefängnismitarbeiter die Baracken verschlossen. Es habe ein Tumult begonnen, zudem seien die Wachen aufgestockt worden. Nachts seien schliesslich unbekannte Fahrzeuge auf das Gelände gefahren.
Am Freitagmorgen sei es dann zu einer Durchsuchung der Baracken gekommen. Diverse Sachen wie Mobiltelefone habe man beschlagnahmt. Plötzlich sei eine Ermittlungskommission aufgetaucht.
Um rund 10 Uhr hätten die Mithäftlinge dann von Nawalnys Tod erfahren. In den offiziellen Angaben steht jedoch, der Kreml-Gegner sei nach 14 Uhr verstorben. Zudem seien die Krankenwagen erst ins Gefängnis gekommen, als der Tod Nawalnys schon bekannt gewesen sei, sagt der Mithäftling. Er denke also, dass Nawalny viel früher als angekündigt gestorben sei.
Mutter und Anwalt suchen Nawalnys Leiche
Nawalnys Leiche schien am Samstag zunächst unauffindbar zu sein. Wie Kira Jarmysch auf X berichtete, entdeckten seine Mutter und sein Anwalt im Leichenschauhaus Salechard keine Spur vom Leichnam.
Das Leichenschauhaus sei geschlossen. Über die am Eingang ausgehängte Kontakt-Telefonnummer sei der Anwalt auch nicht zu einer zufriedenstellenden Antwort gekommen. «Ihm wurde gesagt, dass er bereits der siebte Anrufer an diesem Tag sei», schrieb Jarmysch. «Und der Leichnam Alexejs befinde sich nicht bei ihnen im Leichenschauhaus.»
Alexej Nawalny im Straflager zusammengebrochen
Der körperlich geschwächte Nawalny war nach russischen Behördenangaben bei einem Hofgang im Straflager bei eisigen Temperaturen zusammengebrochen. Wiederbelebungsversuche waren nach Angaben des Strafvollzugs erfolglos.
Menschenrechtler werfen dem russischen Machtapparat Mord vor. Auch die Mitarbeiter des prominenten Anti-Korruptionskämpfers gingen davon aus, dass Nawalny gezielt getötet wurde.
Nach dem Tod Nawalnys trauern die Menschen in Russland trotz Festnahmen und Drucks der Behörden weiter um den Oppositionellen. Es gab auch am Samstag zahlreiche Festnahmen, etwa in Moskau und in St. Petersburg.
Medien in vielen Teilen Russlands berichteten, dass trotz Räumungsaktionen und Festnahmen weiter frische Blumen niedergelegt wurden.
Mehr als 100 Nawalny-Anhänger festgenommen
Nach Berichten von Menschenrechtlern gab es landesweit Hunderte von Festnahmen. Das Internetportal ovd.info schrieb am Samstagnachmittag, dass mindestens 359 Anhänger Nawalnys in 32 Städten festgenommen worden seien, darunter auch in Moskau und St. Petersburg. Das Portal listete zugleich auch die Namen der Festgenommenen auf.
Vielerorts wurden trotz Räumungsaktionen und Festnahmen weiter frische Blumen niedergelegt, Kerzen angezündet und Bilder zur Erinnerung an Nawalny aufgestellt. Auch im Ausland gab es zahlreiche Kundgebungen zum Gedenken an den Kremlgegner, meist vor diplomatischen Vertretungen Russlands.
Die Bürgerrechtler gaben auch juristische Hinweise für das Niederlegen von Blumen und veröffentlichten die Nummer einer Telefon-Hotline für anwaltliche Hilfe. Viele Russen hatten nach dem Tod Nawalnys öffentlich ihre Wut geäussert.
«Wie gross doch selbst die Angst des Machtapparates vor einem Toten ist, wenn sogar das Ablegen von Blumen zu seinem Andenken als Verbrechen angesehen wird.» Das schrieb der russische Friedensnobelpreisträger und Gründer der kremlkritischen Zeitung «Nowaja Gaseta», Dmitri Muratow, am Samstag im Nachrichtenkanal Telegram.
Nawalny habe als weltweit anerkannter russischer Oppositionsführer die Hoffnung auf eine Zukunft nach der Diktatur verkörpert, schrieb der Experte Alexander Baunow für die Denkfabrik Carnegie am Samstag. Auch im Straflager sei der Politiker für den Kreml ein Ärgernis geblieben. «Doch zeugt das Streben selbst, eine solche Reizfigur loszuwerden, auch davon, dass das Regime nicht so von sich und seiner Zukunft überzeugt ist, wie es selbst gern erscheinen mag.»
Russlands Machtapparat geht immer wieder mit Gewalt gegen Andersdenkende vor. Proteste werden in dem Land schon seit Jahren nicht erlaubt.