Alexej Nawalny: So hat Russland ihn zugrunde gerichtet
Alexej Nawalny musste jahrelange Misshandlungen ertragen und war auch Opfer eines Attentats. Trotzdem gab sich der Kreml-Kritiker bis zum Schluss aufsässig.
Das Wichtigste in Kürze
- Trotz Schikanen, Misshandlungen und Attentaten hat Nawalny seinen Kampf nie aufgeben.
- Bis zuletzt überraschte der Kreml-Kritiker mit Ironie und schimpfte mit den Behörden.
- Für den Fall seines Todes hatte er eine Botschaft für das russische Volk: «Gebt nicht auf!
Bei seiner letzten Gerichtsverhandlung am Donnerstag wirkte Alexej Nawalny gebrechlich. Das Gesicht des bekanntesten Kreml-Kritikers wirkte eingefallen. Sein Aussehen spiegelte Jahre im Gefängnis wider, die von Vorwürfen systematischer Misshandlungen geprägt waren. Doch sein Verstand und sein Verhalten waren aufsässig und trotzig wie eh und je.
Mit einer starken Prise Ironie und Humor scherzte Nawalny per Videoschaltung mit Journalisten und schimpfte mit den Behörden. Er verlangte etwa vom Richter einen Teil dessen «enormen Gehalts». «Dank Ihren Entscheidungen geht mir langsam das Geld aus», meinte er mit Blick auf die zahlreichen gegen ihn verhängten Geldstrafen.
Einen Tag später teilen die russischen Behörden mit, dass Nawalny in einem Hochsicherheitsgefängnis im hohen Norden des Landes gestorben sei. Der berühmteste Kreml-Kritiker war den Angaben zufolge in der Strafkolonie zusammengebrochen. Die Todesursache soll untersucht werden.
Die Familie von Alexej Nawalny hat den Tod des Politikers bisher nicht bestätigt. Sollte sich die Meldung jedoch bewahrheiten, dürfte dies weltweit als das letzte Kapitel der systematischen Bemühungen des Kremls angesehen werden, den lautesten und prominentesten Dorn in ihrem Auge zum Schweigen zu bringen.
Verätzung, Giftanschlag und Festnahme
Der gelernte Jurist Alexej Nawalny hatte sich im Kreml viele Feinde gemacht. Über Jahre kritisierte er laut und öffentlich den Sumpf und die Korruption in Putins Umfeld. Was folgte waren jahrelange Schikane, Einschüchterungen und Inhaftierungen.
Im Jahr 2017 teilte ihm ein Arzt mit, dass er 80 Prozent seines Sehvermögens auf einem Auge verloren habe. Er erlitt eine Verätzung, als ihm ein Angreifer eine grüne Flüssigkeit ins Gesicht warf. Bereits im Sommer 2020 wurde dann klar, dass das Leben von Nawalny in Russland nichts mehr wert ist.
Er überlebt nur knapp einen Giftanschlag, mutmasslich durchgeführt vom russischen Geheimdienst. Alexej Nawalny wird nach Berlin gebracht. Es folgt ein langer Weg der Erholung. Doch Schritt für Schritt wird der Kreml-Kritiker stärker und macht Putin direkt für den Anschlag verantwortlich.
Fünf Monate nach dem Giftanschlag beschloss Nawalny schliesslich seine Rückkehr nach Moskau. Für den Ernstfall hatte er eine Nachricht vorbereitet an das russische Volk vorbereitet. Kurz bevor er im Januar 2021 ein Flugzeug bestieg, wurde er gefragt, was sagen würde, sollte er getötet werden. «Meine Botschaft ist ganz einfach: Gebt nicht auf!»
Sein Flugzeug sollte auf dem Flughafen Wnukowo landen, wurde aber auf Scheremetjewo umgeleitet. Als er bei seiner Ankunft direkt festgenommen wurde, gab der Putin-Kritiker seiner Frau einen letzten Abschiedskuss. Es sollte das letzte Mal sein, dass die beiden sich umarmten.
Seine Zeit im Gefängnis
Ein Gericht verurteilte Alexej Nawalny bald zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe, auf die immer mehr Strafen folgten. Zum Zeitpunkt seines Todes sollte Nawalny insgesamt drei Jahrzehnte im Gefängnis verbringen.
Im Gefängnis erlebte Russlands berühmtester Oppositionsführer einige der schlimmsten Exzesse des russischen Gefängnissystems. Er betonte, dass der Kreml ihn brechen wolle. Als Strafe dafür, dass er am Leben blieb. Sein Team befürchtete Schlimmeres.
Er trat in einen Hungerstreik, nachdem ihm im Gefängnis dringende medizinische Behandlung verweigert worden war. Er sagte, die Behörden hätten ihn psychischem Druck und Schlafentzug ausgesetzt. Auf Anraten seiner Ärzte brach er dann zwar seinen Hungerstreik ab, doch seine Qualen gingen weiter.
Letzten April wuchsen die Sorgen seines Teams, als Alexej Nawalny begann, mit starken Magenschmerzen zu kämpfen. «Seine Situation ist kritisch, wir sind alle sehr besorgt», sagte sein enger Verbündeter Ruslan Shaveddinov damals dem britischen «Guardian».
«Wir glauben, dass sie ihn nach und nach töten. Und zwar, indem sie langsam wirkendes Gift verwenden, das über die Nahrung verabreicht wird.» Shaveddinov bezeichnete die Zurückhaltung der Fürsorge als einen Zeitlupen-Attentat der russischen Regierung.
Die letzten Worte von Alexej Nawalny an seine Frau
Im Dezember verschwand Nawalny aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit, was neue Ängste um sein Wohlergehen auslöste. Sein Aufenthaltsort war fast drei Wochen lang unbekannt, bevor er in einer abgelegenen Strafkolonie im hohen Norden ausfindig gemacht wurde.
Nawalnys letztes Ziel sollte das Hochsicherheitsgefängnis Kharp sein. Selbst nach russischen Massstäben gilt die «Polarwolf» -Kolonie aus der Gulag-Ära als besonders rau. Nawalny blieb positiv und verharmloste die Tortur.
Doch seine Verbündeten äusserten grosse Besorgnis über die harschen Bedingungen, denen sein ohnehin schon gebrechlicher Körper ausgesetzt sein würde. «Dieses Gefängnis wird viel schlimmer sein als das vorherige», warnte seine Sprecherin Kira Yarmysh.
Nawalny schien aber durchzuhalten. Sein letzter Brief, den er am Valentinstag an seine Anwälte weitergab, war Julia gewidmet. «Baby, zwischen uns liegen Städte, Startlichter von Flugplätzen, blaue Schneestürme und Tausende von Kilometern. Aber ich spüre jede Sekunde, dass du in meiner Nähe bist, und ich liebe dich mit all meiner Kraft.»