Alexej Nawalny: Wurde er ohne Putins Wissen umgebracht?
Die offizielle Version des Todes von Alexej Nawalny gerät immer mehr ins Wanken. Experten erklären, warum der Kreml keine bessere Geschichte auftischt.
Das Wichtigste in Kürze
- Offiziell starb Alexej Nawalny «plötzlich» nach einem Spaziergang.
- Zahlreiche Indizien sprechen dafür, dass der Kreml hinter dem Tod des Putin-Gegners steht.
- Bei Nau.ch erklären Experten, warum es Russland nicht gelingt, das besser zu vertuschen.
Die Ungereimtheiten um den Tod des schärfsten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny (†47) häufen sich von Tag zu Tag. Laut offiziellen Angaben soll er vor einer Woche bei einem Spaziergang das Bewusstsein verloren haben und «plötzlich» gestorben sein. Verschiedene Einzelheiten lassen an dieser Version grosse Zweifel aufkommen.
Zwei Beispiele: Russische Geheimdienstagenten besuchten zwei Tage vor Nawalnys Tod das Straflager Polarwolf und schalteten die Sicherheitskameras aus. Und: Nur zwei Minuten nach dem offiziellen Todeszeitpunkt um 14.19 Uhr vermeldete die Gefängnisbehörde bereits die Todesnachricht.
Die Behörden halten die Leiche von Alexej Nawalny zurück, was eine unabhängige Untersuchung der Todesursache verunmöglicht. Menschenrechtler und Mitarbeiter von Alexej Nawalny werfen Wladimir Putin deshalb eine gezielte Tötung vor, die nun vertuscht werden soll.
Warum scheitert Russland so deutlich an der Vertuschung, während die Hinweise auf eine Tötung so offensichtlich scheinen?
Kreml will Macht demonstrieren
Eine These lautet: Absicht. Putin soll demnach seine Macht demonstrieren und klarstellen: Wer sich gegen den Kreml richtet, wird ausgeschaltet.
Russland-Experte Ulrich Schmid von der Uni St. Gallen hält das für plausibel. Gegenüber Nau.ch vergleicht er das Verhalten des Kremls zum Tod mit jenem nach dem Giftanschlag auf Nawalny im August 2020.
Schmid erklärt: «Man kommentiert kaum und lässt die Fakten für sich sprechen. In beiden Fällen ist die Signalwirkung natürlich beabsichtigt: Wer gewisse rote Linien überschreitet, wird mit verschiedenen Eskalationsstufen der Gewalt bestraft.»
Eine zweite, brisante These liefert Andreas Umland. Er ist Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropa-Studien. «Möglicherweise war der Mord an Alexej Nawalny nicht mit höherer Ebene abgesprochen», sagt er. Sprich: Putin gab den Mord nicht in Auftrag.
Todeszeitpunkt von Alexej Nawalny ungünstig
Umland hält den Todeszeitpunkt kurz vor den russischen Präsidentschaftswahlen im März nämlich für «ungünstig» für Wladimir Putin. Denn: «Der Tod dient als Mobilisierungsschub für die russische Opposition. Nawalny gilt nun als Märtyrer für die Demokratie.»
Seine Vermutung lautet daher: «Der mutmassliche Mord ist ein Ausdruck von bürokratischen Kämpfen innerhalb des russischen Machtapparats.» Die verschiedenen Geheimdienste und Machtorgane innerhalb Russlands arbeiteten nämlich nicht so koordiniert zusammen, wie oft angenommen wird.
«Sie stehen einander in einer Konkurrenzsituation gegenüber», sagt Umland. «Somit ist es möglich, dass ein Mord durch eine untere Ebene erfolgte. Ohne dass die obere – namentlich Putin – informiert wurde.»
Wladimir Putin bekämpft Instabilität
Diese Theorie würde erklären, warum Russland verzweifelt versucht, den Mord zu vertuschen. Auch wenn die Indizien eine andere Sprache sprechen. «Es geht darum, den Moment der Instabilität zu unterbinden.»
Gewissheit darüber hat Umland aber keine: «Wir können angesichts der Undurchsichtigkeit der russischen politischen Entscheidungsprozesse nur darüber spekulieren, wie es zur Ermordung Nawalnys gerade jetzt kam.»
Und er resümiert: «Die andauernde Nichtherausgabe seiner Leiche an seine Eltern wirft ein ungünstiges Licht auf den Kreml – auch im Inland.»