Attentäter von Wien galt für Betreuer noch als radikal

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Österreich,

Nach dem Terroranschlag eines IS-Anhängers in Wien häufen sich Fragen, ob es Pannen bei den Sicherheitsbehörden gab.

Trauer um die Todesopfer nach dem Anschlag: Kerzen brennen am Tatort in der Wiener Innenstadt. Foto: Georg Hochmuth/APA/dpa
Trauer um die Todesopfer nach dem Anschlag: Kerzen brennen am Tatort in der Wiener Innenstadt. Foto: Georg Hochmuth/APA/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Vor drei Tagen richtete ein IS-Anhänger in Wien ein Blutbad an.
  • Vorher durchlief er ein Deradikalisierungsprogramm, aus dem er frühzeitig entlassen wurde.
  • Als deradikalisiert soll er gemäss dem Programm aber nie gegolten haben.

Versuchter Munitionskauf, radikale Einstellungen: Drei Tage nach dem Blutbad eines jungen IS-Anhängers in einem Wiener Ausgehviertel häufen sich Fragen, ob es Pannen bei den Sicherheitsbehörden gab.

Der islamistische Attentäter von Wien ist seinem Betreuer im Deradikalisierungsprogramm Derad vor der Tat wegen seiner extremen Gläubigkeit aufgefallen. Das sagte Derad-Mitbegründer Moussa Al-Hassan Diaw der Deutschen Presse-Agentur in Wien.

Hinweise auf eine bevorstehende Bluttat habe es dabei allerdings nicht gegeben. Ein Bericht über die Einschätzung sei wie üblich an die Justizbehörden übermittelt worden. Als deradikalisiert habe er, anders als vom Innenministerium betont, nie gegolten.

Mögliche Pannen der Sicherheitsbehörden im Fokus

Drei Tage nach dem Terroranschlag in einem Ausgehviertel der österreichischen Hauptstadt stehen zunehmend mögliche Pannen der Sicherheitsbehörden im Fokus. Ein 20-jähriger vorbestrafter IS-Sympathisant tötete am Montagabend vier Menschen und verletzte mehr als 20, bevor er selbst durch Polizeischüsse starb.

Nach dem Terrorangriff in Wien
Polizisten stehen vor Kerzen am Tatort Desider-Friedmann-Platz in der Wiener Innenstadt. - dpa

Das österreichische Parlament kommt am Donnerstag zu einer Sondersitzung zusammen, in der Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadič (Grüne) Erklärungen abgeben wollen.

Fragen drehen sich unter anderem um einen versuchten Munitionskauf des späteren Täters in der Slowakei, über den die österreichische Polizei informiert war. Ausserdem ist die vorzeitige Entlassung des Mannes, der nach einer versuchten Ausreise zur Terrormiliz IS nach Syrien eine 22-monatige Haftstrafe verbüssen sollte, zum Thema geworden. Nehammer betonte, dass es dem 20-Jährigen perfekt gelungen sei, seine Betreuer im Deradikalisierungsprogramm zu täuschen.

Zu keinem Zeitpunkt deradikalisiert?

«Es gab keine Täuschung, weil unser Mitarbeiter zu keinem Zeitpunkt gesagt hat, dass der Mann deradikalisiert ist», sagte dagegen Derad-Mitbegründer Moussa Al-Hassan Diaw der dpa. Das Justizministerium erklärte, dass die Entlassung auf Bewährung nach zwei Dritteln der Strafe die einzige Möglichkeit war, dem 20-Jährigen die Teilnahme an dem Deradikalisierungsprogramm für drei Jahre zur Auflage zu machen. Hätte er seine vollständige Strafe bis Juli verbüsst, wäre eine solche Massnahme nicht möglich gewesen.

Diaw berichtete, dass der 20-Jährige sich laut seinem Betreuer verändert und trotz Religiösität starke Zweifel an seinem eigenen rechten Glauben entwickelt habe. «Diese Selbstzweifel führen auch sehr oft zu Verzweiflung», sagte Diaw. Manche Betroffenen beteten dann noch intensiver, während andere zu Taten schritten oder aus dem Leben scheiden wollten. Der Betreuer habe das in einem seiner letzten Berichte vor der Tat festgehalten. «Diese Sachen sind ihm aufgefallen. Was keinem aufgefallen ist, ist, dass er plant, in den nächsten Tagen vor Beginn des Lockdowns eine Bluttat zu begehen.»

Nach dem Terrorangriff in Wien
Eine Frau zündet eine Kerze am Tatort beim Ruprechtsplatz in der Wiener Innenstadt. - dpa

Die Berichte über den Täter gingen an die Justizbehörde. Für die habe der österreichische Verfassungsschutz wiederum Kontaktbeamten, sagte Diaw. Die direkte Zusammenarbeit der NGO mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) habe 2018 aufgehört. «Warum, wissen wir bis heute nicht», sagte Diaw. Dennoch sei Derad mit dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz in regelmässigem Kontakt. Gefahr in Verzug oder hochgefährliche Einstellungen würden den Behörden gemeldet.

Innenministerium nahm bislang nicht Stellung

Zu der Frage, ob die Verfassungsschützer den 20-Jährigen nach seiner Entlassung im Visier hatten, hat das Innenministerium bislang nicht ausdrücklich Stellung genommen. Ressortchef Karl Nehammer bestätigte am Mittwoch Erkenntnisse, wonach der spätere Attentäter im Juli mit einem anderen Mann in die Slowakei gefahren war, um Munition zu kaufen. Nach einem der Nachrichtenagentur APA vorliegenden internen Schreiben des slowakischen Innenministeriums informierten die Behörden am 23. Juli ihre Kollegen in Wien.

Die österreichische Polizei habe am 10. September geantwortet und einen der beiden Kaufinteressenten als den wegen Terrorismus vorbestraften späteren Attentäter identifiziert. Ausserdem wurde das Auto der Mutter eines für seine «positive Einstellung zum Dschihad und zum Islamischen Staat» bekannten 21-Jährigen zugeordnet, heisst es demnach.

«In den weiteren Schritten ist hier offensichtlich in der Kommunikation etwas schiefgegangen», sagte Nehammer am Mittwoch. Was mit dieser Information passierte, soll eine unabhängige Untersuchungskommission klären. Die Sicherheitsbehörden gehen mittlerweile davon aus, dass der 20-Jährige den Angriff als alleiniger Täter ausführte. In seinem Umfeld wurden am Dienstag 14 Verdächtige festgenommen, zu deren möglicher Kenntnis oder Beteiligung nun weiter ermittelt werden soll.

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