Bedrohung durch Spionage wächst: Mehr Vorsicht nötig
«Ja, wir haben Feinde»: Nicht nur der Verfassungsschutz warnt davor, naiv an Handelsbeziehungen, Investitionen und wissenschaftliche Kooperationen mit autoritären Staaten wie China heranzugehen.
Das Wichtigste in Kürze
- Deutsche Unternehmen und Forschungseinrichtungen sind aus Sicht des Verfassungsschutzes immer noch nicht vorsichtig genug, was das Risiko von Spionage, Sabotage und die Gefahr zusammenbrechender Lieferketten angeht.
Mit Blick auf Russland und China warnte der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Sinan Selen, am Donnerstag bei einer Tagung seiner Behörde und der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) in Berlin: «Autoritäre Regime nutzen liberale Freiräume zur Verbreitung ihres Einflusses», warnt Selen. Wie ernst die Lage ist, zeigt der diesjährige Titel der Veranstaltung: «Eine Welt in Aufruhr – Herausforderungen für unsere Lieferketten, Forschung & Kritische Infrastruktur.»
Klassische Spionage und Cyberangriffskampagnen
Anders als früher, wo man gegenseitige Abhängigkeiten als konflikthemmenden Faktor sah, würden diese inzwischen verstärkt als Waffe eingesetzt, sagt Selen. Zu den von diesen Regimen verwendeten Methoden zählten neben klassischer Spionage auch die Entsendung von Forscherinnen und Forschern im staatlichen Auftrag, die Rekrutierung deutscher Wissenschaftler sowie Cyberangriffskampagnen. Zu den am stärksten betroffenen Branchen gehörten unter anderem Luft- und Raumfahrt, Biotechnologie, Industrierobotik, Kommunikationstechnik und Maschinenbau.
Ein Beispiel ist der im vergangenen Jahr verurteilte junge Mitarbeiter der Universität Augsburg, der vom russischen Geheimdienst SWR für die Suche nach geheimen Informationen über die Ariane-Raketen angeheuert wurde. Dass er trotz mehrmaliger Treffen mit einem Agentenführer am Ende mit einer Bewährungsstrafe davonkam, hat damit zu tun, dass ihm das Gericht glaubte, dass er anfangs nicht verstand, dass er möglicherweise für einen Geheimdienst arbeitete.
«Ja, wir haben Feinde»
Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sagt, es sei wichtig, jetzt nicht nur über die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine nachzudenken, sondern auch zu bedenken, welche Risiken das Szenario eines möglichen Konflikts in Asien berge. Auch mit Blick auf die Sicherheit ihrer Lieferketten müssten sich deutsche Firmen klarmachen: «Ja, wir haben Feinde.» Das seien Staaten, welche «die Art und Weise, wie wir leben» nicht akzeptierten.
Um den Wirtschaftsstandort Deutschland besser zu schützen, sei es wichtig, dass sich der Verfassungsschutz und die Unternehmen intern vertrauensvoll zu aktuellen Gefahren austauschten, betont Selen. «Es bringt wenig, Bedrohungsszenarien, mit denen Sie bereits konfrontiert wurden, für sich zu behalten», schärft er den Sicherheitschefs der Unternehmen ein. Konzerne mit eigenen Sicherheitsabteilungen seien da insgesamt besser aufgestellt, sagt der ASW-Vorstandsvorsitzende, Volker Wagner – auch über Aktivitäten von Verbänden, Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt. Bei Mittelständlern in ländlichen Gebieten sehe er aber noch Handlungsbedarf.
Abhängigkeit von China und Indien
Zu den besonders verletzlichen Elementen der sogenannten kritischen Infrastruktur zählt Johannes Abresch von der Konzernsicherheit der Deutsche Post DHL Group Unterseekabel für Kommunikation. Neben dem Risiko des Datendiebstahls durch Nachrichtendienste sei hier auch Sabotage eine grosse Gefahr, da durch die Beschädigung dieser Kabel mit relativ geringem Aufwand ein immenser wirtschaftlicher Schaden ausgelöst werden könne. Er verweist ausserdem auf die hohe Abhängigkeit Deutschlands von China und Indien bei der Versorgung mit Medikamenten. Nicht nur Photovoltaik-Anlagen, sondern auch Turbinen für Windkraftanlagen würden zu einem grossen Teil in China produziert, gibt er zu bedenken.
Mit Blick auf das wirtschaftliche Engagement von Firmen aus autoritären Staaten in Europa sagt Verfassungsschutz-Vize Selen: «Immer wenn eine Dominanz aufgebaut wird, die marktbeherrschend wird, kommen wir in schwierige Gefilde. Investitionen in Deutschland seien zwar mehr als erwünscht. Sie dürften aber nicht dazu führen, dass Unternehmen «in ihrer Grundsubstanz ausgeweidet werden».
Sekundäreffekte mitdenken
Der Sicherheitsexperte der Deutschen Post nennt als Beispiele dafür, welche Sekundäreffekte ein Konflikt haben kann, den durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bedingten Rückgang der Getreideexporte aus der Ukraine. Dieser könne zu einer Destabilisierung in Staaten Nordafrikas führen, die traditionell einen grossen Teil ihres Weizens von dort beziehen, was dann weitere Migrationsbewegungen nach Europa auslösen könne.
Europäische Flugzeuge müssten auf dem Weg nach Asien aktuell Umwege in Kauf nehmen, weshalb sie mehr Kerosin benötigten und dann weniger Fracht aufnehmen könnten. Asiatische Unternehmen könnten dagegen weiterhin den russischen Luftraum benutzen und hätten dadurch einen Wettbewerbsvorteil.