Wahlpflicht, mehrsprachige Stimmzettel und Wahlkampf im Reality-TV: Rund acht Millionen Wahlberechtigte wählen ein neues Parlament in Belgien.
Hafen in Antwerpen
Der Hafen in Antwerpen gilt als ein grosses Einfallstor für Kokain aus Südamerika. Belgien sucht gemeinsam mit Deutschland, das in Hamburg vor ähnlichen Problemen steht, und weiteren Ländern nach Lösungen. - AFP/Archiv

Belgien wählt an diesem Sonntag ein neues Parlament. Rund acht Millionen Wahlberechtigte sind zeitgleich zur Europawahl dazu aufgerufen, 150 Mitglieder der Abgeordnetenkammer in Brüssel zu bestimmen.

Auch die Regionalparlamente in den Landesteilen Flandern, der Wallonie und der Hauptstadtregion Brüssel sowie das Parlament der rund 80'000 Einwohner grossen Deutschsprachigen Gemeinschaft werden neu gewählt. In Belgien besteht Wahlpflicht. Nichtwählern ohne richterlich akzeptierten Grund droht eine Strafe.

Im Wahlkampf wurde es mitunter kurios: Die flämischen Spitzenpolitiker warben in einem Reality-TV-Format um Stimmen. Sie waren zusammen in einem Schloss, stritten vor den Kameras – und kochten zusammen Spaghetti Bolognese. Die frankophonen Politiker liessen sich dagegen im Schlafanzug interviewen und spielten dabei Gesellschaftsspiele.

Belgien ist mit der niederländischsprachigen und wirtschaftsstärkeren Region Flandern im Norden und der französischsprachigen Region Wallonie im Süden sprachlich und kulturell zerrissen. Dass auch die meisten Parteien entweder nur in der Wallonie oder in Flandern antreten, macht die Regierungsbildung in dem westlichen Nachbarland Deutschlands kompliziert und zumeist auch langwierig. Umfragen zufolge dürfte die rechte flämische Partei Vlaams Belang bei den Wahlen vorn liegen.

Nach der vergangenen Parlamentswahl 2019 hat es rund 16 Monate gedauert, bis die sogenannte Vivaldi-Koalition aus sieben Parteien stand: den Grünen, den Liberalen und den Sozialdemokraten aus beiden Landesteilen sowie den Christdemokraten aus Flandern. Regierungschef ist seitdem der flämische Liberale Alexander De Croo. Welche Themen treiben die Einwohner des Landes zwischen Nordsee und Ardennen um – und was hat das mit Deutschland zu tun?

Energie

Die Energieversorgung beschäftigt das Land mit rund 11,5 Millionen Einwohnern stark – und das nicht erst seit der europaweiten Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Der Ausbau Erneuerbarer wird stark vorangetrieben, insbesondere Off-Shore-Windkraft. So setzte sich Belgien etwa gemeinsam mit Deutschland und sieben weiteren Ländern zum Ziel, bis 2030 Offshore-Windkraftanlagen in der Nordsee mit einer Leistung von 120 Gigawatt zu bauen. Bis 2050 sollen mindestens 300 Gigawatt erzeugt werden.

Vor allem aber setzt Belgien – ganz im Gegensatz zu Deutschland – weiter auf Atomkraft, einige Parteien bringen im Wahlkampf sogar den Bau neuer Meiler ins Spiel. Das Land verfügt in zwei Kernkraftwerken über insgesamt sieben Reaktoren, zwei wurden allerdings bereits vom Netz genommen. Im vergangenen Jahr wurde sich darauf verständigt, dass zwei Atomreaktoren bis 2035 am Netz bleiben – und damit zehn Jahre länger als zuvor geplant. Eine weitere Laufzeitverlängerung ist nicht ausgeschlossen.

In Deutschland sorgen die belgischen Atommeiler aus den 1970er und 1980er Jahren immer wieder für Diskussionen. So wurden bei Reaktoren im Nachbarland mehrfach Mängel festgestellt, etwa marode Betonteile. Unter anderem die Stadt Aachen und die Bundesregierung haben deswegen in der Vergangenheit wiederholt gefordert, die AKW stillzulegen.

Drogen und Drogenkriminalität

Der Hafen in Antwerpen gilt als ein grosses Einfallstor für Kokain aus Südamerika. Belgien sucht gemeinsam mit Deutschland, das in Hamburg vor ähnlichen Problemen steht, und weiteren Ländern nach Lösungen. Auch die europaweit höchsten Kokain-Rückstände im Abwasser wurden einem EU-Bericht zufolge im Frühjahr 2023 in Antwerpen gemessen. In der Hauptstadt Brüssel kam es in jüngster Zeit häufiger zu Schiessereien, teils mit Todesfolge, die die Behörden auf Revierkämpfe zwischen Drogenclans zurückführen.

Kaufkraft und Finanzen

Was gibt es fürs Geld? Das Thema Kaufkraft beschäftigt die Belgierinnen und Belgier ungemein. Zwar spielt das Thema Inflation in Belgien keine allzu grosse Rolle, da die Löhne regelmässig an diese angepasst werden. Im internationalen Vergleich stehen die Reallöhne in Belgien daher gut dar. Dennoch: Ein Drittel der Belgier hat der Verbraucherorganisation Test-Achats zufolge Schwierigkeiten bei Wohn- und Energiekosten sowie Lebensmitteln. Ebenso beschäftigen die Belgier eine lang geplante Steuerreform und Rentenfragen – und eine im europäischen Vergleich hohe Schuldenquote.

Migration

Die Zahl der Asylsuchenden stieg zuletzt stark an, Unterkünfte waren überfüllt. Ein Vorstoss der zuständigen Staatssekretärin, wonach alleinstehenden männlichen Asylbewerbern künftig keine Unterkunft mehr angeboten werden sollte, sorgte im vergangenen Jahr für Aufsehen. Ein Gericht setzte diese Weisung wieder aus. Vor allem die Flamen beschäftigen Umfragen zufolge Migrations- und Sicherheitsfragen.

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