Boris Johnson gegen Brexit-Zahlungen an EU
Die Kandidaten für die Nachfolge der Regierungschefin Theresa May bringen sich in Stellung und preisen sich an. Boris Johnson attackiert die EU, Michael Gove muss zunächst selbst einstecken.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Favorit für den Posten des britischen Premierministers, Boris Johnson, droht Brüssel, die für einen EU-Austritt vereinbarten Zahlungen in Milliardenhöhe zurückzuhalten.
Der Brexit-Hardliner sagte am Sonntag der «Sunday Times», er würde die von der Europäischen Union geforderten 39 Milliarden Pfund (rund 44 Milliarden Euro) so lange nicht bezahlen, bis es bessere Bedingungen und «mehr Klarheit» über das weitere Vorgehen gebe. Aus Brüssel gab es zunächst keine Stellungnahme dazu.
«Für den Abschluss eines guten Deals ist Geld ein grossartiges Lösungs- und ein grossartiges Schmiermittel», sagte Johnson. Er habe es immer merkwürdig gefunden, den gesamten Scheck zu unterschreiben, bevor ein endgültiges Abkommen abgeschlossen sei.
Unterstützung von Donald Trump
Vergangene Woche hatte bereits US-Präsident Donald Trump den Briten empfohlen, diese Schulden nicht zu bezahlen. Er hatte zudem Johnson bescheinigt, ausgezeichnete Fähigkeiten für die Ämter des Partei- und Regierungschefs zu haben.
Bei den Brexit-Verhandlungen mit der Europäischen Union hatte London zugesagt, eine Schlussrechnung in Höhe von 44 Milliarden Euro zu begleichen. Brüssel pocht darauf, dass London seinen Anteil für gemeinsam getroffene Finanzentscheidungen zahlt - für den EU-Haushalt, gemeinsame Fonds und Pensionslasten.
Johnson griff in der «Sunday Times» auch den Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, und Nigel Farage von der neuen Brexit-Partei an. Er verglich sie mit Meeresungeheuern aus der griechischen Mythologe. Nur er könne Grossbritannien zwischen (den Monstern) Scylla und Charybdis hindurch in ruhigere Gewässer lenken, so Johnson. Farages neue Brexit-Partei war aus dem Stand heraus in Grossbritannien stärkste Partei bei der Europawahl geworden.
Der Favorit
Johnson hat grosse Chancen im Rennen um die Nachfolge der scheidenden Premierministerin Theresa May. Bereits seit einiger Zeit scheint er sich auf die neue Rolle auch äusserlich vorzubereiten: Statt blonder Mähne liess er sich einen richtigen Haarschnitt verpassen und nahm in den vergangenen Wochen deutlich ab. Auch mit verbalen Fehltritten hält er sich im Vergleich zu früher deutlich zurück. Seine Rolle als eine Art Klassenclown scheint er ablegen zu wollen.
May hatte am Freitag die Führung ihrer Konservativen Partei abgegeben. Sie wird bis Ende Juli auch als Regierungschefin ersetzt. Johnson war im vergangenen Jahr aus Protest gegen Mays Brexit-Kurs als Aussenminister zurückgetreten. In seinem damaligen Amt war er allerdings bei seinen Reisen auch in etliche Fettnäpfchen getreten.
Bislang haben elf Politiker ihr Interesse an dem Posten als Chef der Konservativen Partei und damit auch als Regierungschef bekundet. Die offizielle Bewerbungsfrist endet am frühen Abend des Pfingstmontags.
Alte Sünden
Das Rennen um den Posten wurde überschattet von Diskussionen um den früheren Kokain-Konsum des Umweltministers Michael Gove, dem auch Chancen als Nachfolger Mays eingeräumt werden. Er habe die Droge vor mehr als 20 Jahren «bei verschiedenen Gelegenheiten» genommen und bedauere dies sehr, sagte der 51-Jährige der «Daily Mail». Er gehe davon aus, dass ihn das nicht für die Bewerbung disqualifiziere.
Am Sonntag legte der Umweltminister mit einem Versprechen nach, sollte er Premierminister werden: Er wolle die Mehrwertsteuer durch ein einfacheres System ersetzen, kündigte er im «Telegraph» an. Kritiker sehen in Gove einen Wendehals.
Zuvor hatte sich ein anderer Kandidat, Entwicklungshilfeminister Rory Stewart, dafür entschuldigt, Opium während einer Hochzeit im Iran geraucht zu haben. «Da war ein sehr dummer Fehler vor 15 Jahren», sagte er in Interviews. Stewart, der auch Schriftsteller ist und beruflich viel Auslandserfahrung hat, gilt im Rennen um Mays Nachfolge als Aussenseiter. Mehrere andere Kandidaten hatten früheren Cannabis-Konsum zugegeben, darunter Ex-Brexit-Minister Dominic Raab.