Bund und Länder ziehen die Corona-Notbremse

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Deutschland,

Noch ist der Notstand nicht da - mit einschneidenden Massnahmen aber wollen Bund und Länder eine weitere unkontrollierte Ausbreitung des Coronavirus mit möglichen unabsehbaren Folgen verhindern. Für Bürger und Firmen im ganzen Land bedeutet das: Es wird ein harter Monat.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (l) und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder geben nach ihren Beratungen eine Pressekonferenz im Kanzleramt. Foto: Fabrizio Bensch/Reuters Pool/dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (l) und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder geben nach ihren Beratungen eine Pressekonferenz im Kanzleramt. Foto: Fabrizio Bensch/Reuters Pool/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Es sind nur zwei Wochen, doch dazwischen liegen in Corona-Zeiten Welten.

Vor zwei Wochen, als die Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin zusammensassen, da war es noch ein mühsames Ringen um eine letztlich überschaubare Verschärfung der gemeinsamen Anti-Corona-Massnahmen. Merkel machte aus ihrer Unzufriedenheit damals auch keinen Hehl. «Die Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil von uns abzuwenden», sagte sie in der internen Runde. «Es reicht einfach nicht, was wir hier machen.»

DIE ZAHLEN GEHEN DURCH DIE DECKE

Zwei Wochen später: Die Zahl der bundesweiten Neuinfektionen hat sich inzwischen verdreifacht, von 5000 auf rund 15.000 am Tag. Das ist der Höchstwert seit Beginn der Pandemie. Die Deutschland-Karte des Robert Koch-Instituts hat sich von Tag zu Tag immer dunkelroter gefärbt. Immer mehr Landkreise überschreiten die Schwellen von 50, 100 oder gar 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen. Zwei Landkreise in Bayern mussten deshalb zuletzt komplett dicht machen und auch Schulen und Kitas vorübergehend schliessen. Die Zahlen steigen aber in allen Bundesländern immer weiter an. Und in vielen europäischen Nachbarländern sind die Werte längst viel dramatischer.

KONSENS IST SCHNELL GEFUNDEN

Wohl deshalb geht an diesem Mittwochnachmittag nun plötzlich alles überraschend schnell: Fast schon im Minutenrhythmus einigen sich Bund und Länder auf strikte Kontaktbeschränklungen, die Schliessung von Restaurants, Bars, Kinos, Theatern, Schwimmbädern und vielen anderen Freizeiteinrichtungen - kurz: auf die drastischsten Einschränkungen des öffentlichen Lebens in ganz Deutschland seit dem ersten Corona-Lockdown im Frühjahr. Zentraler Unterschied: Schulen, Kindergärten und der Einzelhandel sollen diesmal offen bleiben.

Nach gut vierstündigen Beratungen ist das Paket beschlossene Sache. Mit ernsten Mienen treten die Kanzlerin, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vor die Presse und verkünden die neuen, harten Einschnitte.

EINE NATIONALE KRAFTANSTRENGUNG

Es sei ein schwerer Tag für politische Entscheidungsträger, sagt Merkel. «Ich will das ausdrücklich sagen, weil wir wissen, was wir den Menschen zumuten.» Merkel, die Naturwissenschaftlerin, listet auf, wie schnell sich die Zahl der Corona-Patienten auf Intensivstationen und die Zahl der beatmeten Patienten zuletzt verdoppelt habe. Wenn dies so bliebe, würde das Gesundheitssystem binnen weniger Wochen an die Grenze der Leistungsfähigkeit kommen, warnt die Kanzlerin. «Wir müssen handeln, und zwar jetzt», mahnt sie. Man müsse eine nationale Gesundheitsnotlage vermeiden. «Die Kurve muss wieder abflachen.»

Merkel fordert eine befristete, «nationale Kraftanstrengung». Die Massnahmen sollen ab 2. November gelten, und zwar zunächst bis Monatsende. «Wir verordnen eine Vier-Wochen-Therapie», sagt Söder. Und Müller, der freimütig einräumt, dass ihm der Beschluss nicht leicht gefallen sei, betont: «Es stimmt, dass jeder Tag zählt.»

KURSWECHSEL HIN ZU BUNDESWEITEN MASSNAHMEN

Es ist ein kräftiger Kurswechsel, den Bund und Länder nun also vollziehen: Vor zwei Wochen noch hatten Merkel und die versammelten Ministerpräsidenten ungefähr doppelt so lange gebraucht, um sich auf schärfere Gegenmassnahmen nur für Corona-Hotspots zu verständigen.

Nun ist bei allen Beteiligten die Erkenntnis gereift, dass all dies nicht genug ist. «Das bisher Getane reicht nicht - wir müssen mehr tun», sagt Söder. Deshalb nicht mehr nur regionale Gegenmassnahmen, nicht nur landesweite Einschränkungen, sondern bundesweite. Es ist eine Notbremse, an der nun alle gemeinsam ziehen - in der Hoffnung, dass der ungebremste Anstieg der Neuinfektionen gestoppt wird.

ALLE RICHTEN SICH NACH DER KRISENKANZLERIN

Und: Merkel ist wieder die unbestrittene Krisen-Kanzlerin. Sie gibt die Richtung vor, führt Regie, sie hat deshalb in der Pressekonferenz auch eindeutig den grössten Redeanteil. Manche Bundesländer, so ist zu hören, haben einerseits eingesehen, dass man nun sofort und schnell und umfassend handeln müsse. Andererseits sind sie froh, dass es eine bundeseinheitliche Linie gibt, in die sich alle einreihen können.

NEUER SCHWERER SCHLAG FÜR DIE WIRTSCHAFT

Fakt ist: Die Corona-Notbremse hat massive Auswirkungen für viele Unternehmen und Beschäftigte. Das ist ein schwerer Schlag für die Wirtschaft, die eindringlich vor einem zweiten Lockdown gewarnt hatte und eine Insolvenzwelle fürchtet. Im Frühjahr hatte das Herunterfahren des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens zu einem beispiellosen Einbruch der Wirtschaftsleistung geführt. Im Sommer war die Wirtschaft insgesamt wieder auf Erholungskurs, wobei die Geschäfte in einzelnen Branchen nach wie vor nicht in Gang kamen.

Vor allem die Gastronomie übte zuletzt harsche Kritik - und verwies auf Hygienekonzepte in Restaurants und Kneipen. Merkel aber argumentiert nun, diese Konzepte entfalteten derzeit nicht mehr die Wirkung, die gebraucht werde, um die rasante Ausbreitung des Virus zu stoppen. Zudem: Bei 75 Prozent der aktuellen Infektionen wisse man nicht, woher sie kommen, wo die Ansteckung erfolgte, betont Merkel.

Über allem steht nun das Ziel, die Zahl von Kontakten zu verringern. Deswegen fordern Bund und Länder die Unternehmen auch «eindringlich» auf, Heimarbeit zu ermöglichen - wo immer dies umsetzbar ist.

NEUE HILFEN EINE ART UNTERNEHMERLOHN

Um die Folgen des November-Teil-Lockdowns abzufedern, entschliesst sich die Bundesregierung zu neuen, «ausserordentlichen» Milliardenhilfen. Schon bisher waren Hilfsprogramme in grossem Stil beschlossen worden: Kredite über die Staatsbank KfW oder Überbrückungshilfen. Dafür hatte der Bund immense Schulden gemacht.

Nun sollen Firmen, die wegen der Schliessungen im November hohe Umsatzausfälle haben, massiv unterstützt werden. Die Finanzhilfen sollen ein Volumen von bis zu 10 Milliarden Euro haben. Das Geld könnte aus Töpfen kommen, die bisher nicht ausgeschöpft wurden. Auch Vereinen und Solo-Selbständigen, also etwa Künstlern, soll geholfen werden. Faktisch bedeuten die November-Hilfen, über die in der Bundesregierung dem Vernehmen nach tagelang gerungen wurde, die Einführung eines Unternehmerlohns.

Doch trotz der neuen Hilfen: Der November-Lockdown dürfte grosse Folgen haben. Die Erholung der Wirtschaft könnte empfindlich gestoppt werden. In vielen Betrieben und bei Beschäftigten könnte sich die Unsicherheit verstärken, wie es weitergehen soll - wenn die neuen Massnahmen nicht wirken.

MERKEL HOFFT AUF SPIELRAUM

Hätte man nicht vor zwei Wochen konsequenter handeln müssen, wird die Kanzlerin am Abend gefragt. Theoretisch ja, sagt Merkel. Aber: Vor zwei Wochen sei die «politische Akzeptanz» noch nicht so da gewesen. «Wir sind aber auf die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger angewiesen», betonte sie. Sie hoffe nun, dass man den richtigen Punkt getroffen habe, «an dem sozusagen noch ein Stück Spielraum ist».

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