Corona-Musterschüler Österreich wird zum Quarantänefall
Der Bund setzt in den Nachbarländern nur einzelne Regionen auf die Quarantäneliste. Mitunter prominentes Opfer dieser Strategie: Österreichs Hauptstadt Wien.
Das Wichtigste in Kürze
- Nachbarländer sollen künftig nicht als Ganzes auf der Risikoliste des BAG erscheinen.
- Stattdessen werden Regionen einzeln beurteilt.
- Wien, Hauptstadt des ehemaligen Corona-Musterschülers Österreich, landet auf der Liste.
Der Bundesrat passt seine Strategie bei der Quarantänepflicht für Rückkehrer an. Neu werden nicht ganze Länder, sondern auch einzelne Regionen auf die Risiko-Liste gesetzt. Jedenfalls bei den Nachbarländern. Bedingung: Die 14-Tage-Inzidenz liegt bei 60 Fällen oder mehr auf 100‘000 Einwohner.
Vor drei Wochen stand das BAG diesem Ansatz noch skeptisch gegenüber. «Eine Regionalisierung ist mit einem deutlich höheren Aufwand bei den Berechnungen verbunden», sagte Sprecher Jonas Montani gegenüber Nau.ch.
Frankreich mit grossen regionalen Unterschieden
Der Schritt macht aber durchaus Sinn, wie sich am Beispiel Frankreich schön illustrieren lässt: Obwohl die Corona-Hotspots Paris und Marseille im August eine 14-Tage-Inzidenz von über 250 vorwiesen, durfte man aus der Stadt der Liebe ohne Quarantäne in die Schweiz zurückkehren. Dies, weil die Inzidenz auf das ganze Land gerechnet noch unter dem vom BAG festgelegten Grenzwert von 60 Infektionen pro 100'000 Einwohner lag.
Der Bundesrat zögerte dann auch, als Frankreich diesen Grenzwert überschritt. «Ich möchte daran erinnern, dass es keinen Automatismus gibt», betonte Berset. Ein Land lande auch nach Überschreiten der Grenze von 60 nicht zwangsläufig sofort auf der Liste.
Grenzkantone machen erfolgreich Druck
Wesentlich beeinflusst dürfte diese Haltung auch von den Bedenken der Grenzkantone geworden sein. Eine Quarantäne für Grenzregionen würde faktisch einer Grenzschliessung gleich kommen.
Basel, Genf und Co. fürchteten sich vor den schweren wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen und machten Druck auf den Bund. Mit Erfolg, wie sich jetzt zeigt: Die Grenzregionen Frankreichs bleiben von der Liste verschont, obwohl sie teilweise die 60 Infektionen pro 100'000 Einwohner deutlich übertreffen.
Corona-Musterschüler Österreich auf Abwegen
Anders sieht es im Osten aus. «Es wird wieder ernst», warnte Bundeskanzler Sebastian Kurz heute Vormittag, nachdem gewisse Stadtteile Wiens über 200 Fälle pro 100'000 Einwohner vermeldeten. Trotzdem schaltete die zuständige Kommission die Corona-Ampel für die Hauptstadt noch nicht auf Orange, sie blieb auf Stufe Gelb. Das Gremium stützt sich bei der Ampelschaltung auf einen Sieben-Tages-Trend.
Medienberichten zufolge soll Kurz sich im Vorfeld «sehr besorgt» über die Lage in Wien gezeigt haben und auf ein frühzeitiges Umschalten der Ampel und die Wiedereinführung von strengeren Massnahmen gedrängt haben. Er geriet dabei hinter den Kulissen offenbar mit Gesundheitsminister Anschober aneinander, dem er «Schönrechnen der Zahlen» vorwarf.
Kurz: Vorsicht oder politisches Kalkül?
Gleichzeitig wehrte sich das Bundeskanzleramt gegen den Vorwurf, dass hinter dem druckvollen Auftreten von Kurz politisches Kalkül steckt. Die wichtige Wien-Wahl nächsten Monat spielte «keine Rolle in den Überlegungen».
Nach stundenlangen Verhandlungen einigte man sich auf einen Kompromiss: Die Ampel bleibt auf Gelb, aber ab Montag gilt auch in Geschäften und Schulen ausserhalb des Klassenverbandes wieder Maskenpflicht. Ausserdem wurde die Obergrenze bei Indoor-Veranstaltungen wieder auf 50 herabgesetzt, im Freien auf 100.
Entschlossener reagierte die Schweiz. Nach Spanien und Frankreich ist Österreich das dritte Land, bei dem eine regionale Quarantänepflicht angewendet wird. Auch hier wurde übrigens eine Grenzregion ausgeklammert: Das Tirol taucht trotz einer 14-Tage-Inzidenz von über 60 nicht auf der Liste des BAG auf.