Debatte um Doppelpass sorgt vor Südtiroler Wahlen für Unruhe
Am Sonntag wählt Südtirol. Ein Thema dominiert die Debatte besonders: die Debatte um den Doppelpass.
Das Wichtigste in Kürze
- Um die Frage, ob Südtiroler auch Österreicher werden sollen, wird vor der Wahl gestritten.
- Deutschsprachige Südtiroler fühlen sich stärker mit Österreich verbunden als mit Italien.
Ein diplomatischer Streit sorgt für Unruhe im beschaulichen Südtirol: Österreichs Vorschlag, Bürgern der italienischen Alpenprovinz die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen, verärgert die Regierung in Rom – und trifft den Nerv vieler Südtiroler. Die meisten Bürger der nördlichsten und wohlhabendsten Provinz Italiens sprechen Deutsch und fühlen sich stärker mit Österreich verbunden als mit Italien. Bei der am Sonntag stattfindenden Wahl zum Regionalparlament in der autonomen Provinz spielt das Thema zwar eine Nebenrolle - aber die Debatte ist im vollen Gange.
Der ungewöhnliche Vorstoss des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz war wohl nicht mit der italienischen Regierung abgesprochen. «Sie können nicht ohne unsere Zustimmung Pässe ausgeben», sagte der rechtspopulistische Innenminister Matteo Salvini am vergangenen Wochenende. «Eine doppelte Staatsbürgerschaft wird es nicht geben.»
«Wir haben mit Italien nichts zu tun»
Das italienische Aussenministerium hatte sich bereits im September empört, dass Österreich ausgerechnet während seiner EU-Ratspräsidentschaft ein Gesetzesvorhaben vorantreibe, das dazu angetan sei, «Zwietracht zu schüren». Österreichs konservativ-rechtspopulistische Regierung versicherte hingegen, bei diesem sensiblen Thema nicht im Alleingang handeln zu wollen.
Das Angebot kommt dem Nationalgefühl vieler Südtiroler entgegen. «Wir haben mit Italien nichts zu tun», sagt etwa der Rentner René in der Provinzhauptstadt Bozen. Die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft werde den Südtirolern «das Gefühl zurückgeben, zu unserer österreichischen Heimat dazuzugehören». Auch Maria Eichbichler gefällt die Idee eines Doppelpasses. «Ich fühle mich nicht als Italienerin. Eher als Südtirolerin, als Europäerin, nur mit einem italienischen Pass», sagt die Bozener Ladenbesitzerin.
Österreichisch geprägt
Das Doppelpass-Angebot aus Wien droht die Provinz zu spalten: Es richtet sich lediglich an die Mehrheit der Deutschsprachigen und an die kleine Minderheit, welche die Lokalsprache Ladinisch spricht – nicht an die italienischsprachigen Südtiroler.
Südtirol gehörte jahrhundertelang überwiegend zu Österreich, bevor es nach dem Ersten Weltkrieg Italien zugeschlagen wurde. Dort hat es den Status einer autonomen Provinz. Italiens faschistischer Diktator Benito Mussolini liess in den 20er Jahren die «Italienisierung» Südtirols vorantreiben, doch blieben die meisten Bewohner dem Deutschen verhaftet.
Nach der jüngsten Erhebung aus dem Jahr 2014 bezeichnen sich 64 Prozent der Südtiroler als deutschsprachig, 27 Prozent sprechen vorwiegend Italienisch und vier Prozent Ladinisch. Seit 1948 sind die Rechte der drei Sprachgruppen im Provinzstatut verankert, Südtirol gilt als Modell für gelebte Mehrsprachigkeit. Die Schilder sind dreisprachig, die meisten Südtiroler wechseln mühelos zwischen Deutsch und Italienisch. Kulturell ist Südtirol eindeutig österreichisch geprägt – von der Architektur bis hin zum Apfelstrudel in den Cafés.
Parteienübrgreifende Zustimmung?
Die Idee einer Loslösung von Italien ist noch nicht vom Tisch -– selbst im Parteiprogramm der regierenden Südtiroler Volkspartei ist das Ziel einer Unabhängigkeit verankert. Nach Ansicht des Spitzenkandidaten Arno Kompatscher, der Südtirols Landeshauptmann ist, sind die meisten Bürger jedoch mit dem Status quo ganz zufrieden. Hauptthema des Wahlkampfes sei die Einwanderung, die doppelte Staatsbürgerschaft spiele keine grosse Rolle. Doch Kompatscher fürchtet, dass Rechtsextreme und identitäre Gruppen das Thema instrumentalisieren könnten.
Der Kandidat der Partei Die Freiheitlichen, die für eine Unabhängigkeit Südtirols ist, sieht bereits eine parteiübergreifende Mehrheit für die doppelte Staatsbürgerschaft. Der Südtiroler Politikwissenschaftler Günther Pallaver ist jedoch sicher, dass das Thema nach der Wahl am Sonntag verpuffen wird. Schliesslich gebe es noch kein konkretes Angebot aus Wien und keine repräsentative Meinungsumfrage zu dem Thema, sagt er der Nachrichtenagentur AFP.
Dagegen glaubt Marc Röggla, Experte für Minderheitenrechte des Eurac-Instituts in Bozen (IT), dass die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft auf der Tagesordnung bleibt. Wiens Fehler sei es gewesen, den Vorschlag ohne Absprache mit Rom gemacht zu haben: Aber «wenn von Anfang an alle als gleichberechtigte Partner am Tisch sitzen, könnte es funktionieren».