Die Linke sucht neue Doppelspitze
Wer führt die Linke aus dem Schlamassel? Die Vorsitzende Janine Wissler will wiedergewählt werden. Doch ein Thema der vergangenen Wochen hallt noch nach.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Linke wählt an diesem Samstag eine neue Führung, um nach Wahlschlappen, Streit und Sexismus-Vorwürfen wieder Tritt zu fassen.
Am zweiten Tag des Bundesparteitags in Erfurt sollen nicht nur die Doppelspitze, sondern der gesamte Vorstand neu besetzt werden. Dieser wird wahrscheinlich auch verkleinert. Allein für das Spitzenduo gibt es zehn Bewerber. Vor der Wahl soll die Linie der Linken zu Russland und zum Ukraine-Krieg abgesteckt werden - ein intern sehr umstrittenes Thema.
Vorwurf sexualisierter Übergriffe
Am Freitagabend hatte der Jugendverband Solid in einer offenen Debatte Fälle von Sexismus und sexualisierten Übergriffen in der Partei geschildert und Gegenmassnahmen gefordert. Viele Delegierte zeigten sich erschüttert von den Schilderungen, die die jungen Leute anstelle der Betroffenen wiedergaben.
Zum Beispiel habe die Mitarbeiterin eines Bundestagsabgeordneten, die im Aufzug mit ihrem Chef fuhr, von einem anderen Genossen den Kommentar anhören müssen: «Die ist ja hübsch, bisschen gross vielleicht, aber im Liegen ist das ja auch egal.» Eine Frau sei mit den Worten begrüsst worden: «Na du geiles Stück, siehst ja wieder richtig schick aus.» Eine Frau habe berichtet, wie ein Parteimitglied «aggressiven Sex (wollte), dem sie nicht zugestimmt hatte». Auch von einer Vergewaltigung berichteten die jungen Leute, ohne Namen zu nennen.
Sie forderten auf einem Transparent: «Stoppt diesen Täterschutz». In den vergangenen Monaten hätten sich unzählige Personen mit Sexismuserfahrungen gemeldet, sagte Jan Schiffer von der Parteijugend. Parteivertreter hätten jedoch nicht adäquat reagiert, sondern bisweilen Verschwörungstheorien hinter der MeToo-Debatte bei der Linken vermutet.
Wissler entschuldigt sich
Die Debatte hatte vor Wochen mit einem Artikel des «Spiegel» über Sexismusvorwürfe im Landesverband Hessen begonnen, aus dem auch die Bundesvorsitzende Janine Wissler stammt. Wissler sagte bei ihrer Rede zum Auftakt des Parteitags: «Bei allen Frauen, denen wir bisher nichts oder wenig anbieten konnten, wenn ihnen Unrecht widerfahren ist, möchte ich mich aufrichtig entschuldigen.» Sie kündigte am Rande des Parteitags neue Sanktionsmöglichkeiten gegen Mitglieder der Partei an, die sich durch Übergriffe schuldig machen.
Die Bundessprecherin der Linksjugend Sarah Dubiel kritisierte im Sender Phoenix Wisslers Aussagen als «zu wenig und das ist zu spät» und legte ihr nahe, nicht erneut für den Vorsitz zu kandidieren.
Wissler bewirbt sich dennoch bei der Vorstandswahl erneut um eine Position in der Doppelspitze. Als weitere aussichtsreiche Kandidaten gelten der Europapolitiker Martin Schirdewan sowie die Bundestagsabgeordneten Heidi Reichinnek und Sören Pellmann. Wissler sagte, sie sehe in der ungewöhnlich grossen Zahl an Bewerbungen keinen Ausdruck von Zerstrittenheit. Die Neuwahl der Führungsmannschaft ist notwendig, weil Wisslers Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow vor einigen Wochen zurückgetreten ist.