Erdogan: Die Erdbeben schadeten ihm weniger als angenommen
Nach den Erdbeben in der Südtürkei vor drei Monaten schien Erdogan am Ende seiner Regentschaft. Doch es war nur ein Schein.
Das Wichtigste in Kürze
- Nach den Erdbeben in der Türkei wurden Erdogan und dessen Regierung scharf angegriffen.
- Einige Beobachter sahen damit das Ende Erdogans gekommen.
- Nun sind die Umfragewerte des Präsidenten aber wieder gleich hoch wie vor der Katastrophe.
Man könnte meinen, Esra Yilmaz* habe viele Gründe, sauer zu sein.
Die Türkin übt sich aber seit dem 6. Februar, der Tag der Erdbeben, der ihr die Schwester, die Wohnung und ihr altes Leben genommen hat, in Bescheidenheit. Sie sei dankbar, dass ihre Kinder unversehrt sind.
Kein Ärger auf Erdogan
Ärger auf die Regierung, davon ist in der Drei-Zimmer-Wohnung, die sie sich mit 14 anderen Menschen teilt, keine Spur. Ihre Stimme gehöre Erdogan, sagt Yilmaz.
Yilmaz steht exemplarisch für Wählerverhalten, das bei vielen Beobachtern Fragezeichen hervorruft. Als nach den Erdbeben ein Sturm der Kritik über Recep Tayyip Erdogan hinwegfegte, sahen viele deren Ende gekommen. Doch wenige Tage vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ist davon Umfragen zufolge kaum eine Spur geblieben.
Im April lag die Zustimmung um Erdogan und seiner AKP nach kurzweiligen Verlusten wieder bei Werten wie vor der Erdbebenkatastrophe. Dies zeigt eine Zusammenstellung mehrerer Umfragen durch das Institut Türkiye Raporu. Gleiches gilt für das Oppositionsbündnis um Herausforderer Kemal Kilicdaroglu.
Erdogan laut Umfragen nicht Favorit
«Das zeigt, wie stark die Gesellschaft polarisiert ist und wie mächtig die Propagandamaschinerie der Regierung Erdogan». Das sagt Salim Cevik von der Stiftung für Wissenschaft und Politik. Medien stehen in der Türkei grösstenteils unter direkter oder indirekter Kontrolle der Regierung.
Tatsächlich ist eine derartige Entwicklung in der Türkei nicht untypisch. Auch bei Krisen in der Vergangenheit konnte der Präsident darauf zählen, dass sich die Menschen dann eher hinter ihm versammeln. Hinzu kommt, dass viele Erdogan-Anhänger dem Präsidenten ihren persönlichen wirtschaftlichen Aufstieg zu verdanken haben.
Seine Wiederwahl ist damit nicht gesichert – im Gegenteil, Umfragen zufolge geht Erdogan erstmals nicht als Favorit ins Rennen. Und natürlich gibt es sie, die laute Wut auf die Regierung in der Erdbebenregion. Auf den Strassen in Städten der Provinz Hatay begegnen einem Menschen an jeder Ecke, die tagelang auf Hilfe gewartet haben. Die sich selbst helfen mussten, weil die Armee oder der türkische Katastrophendienst auf sich warten liessen.