EuGH nimmt Messverfahren-Kritikern Wind aus den Segeln

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Luxemburg,

Bei Verstössen gegen EU-Vorschriften zu Stickoxiden und Co ist die Debatte über Fahrverbote nicht weit. Dann gibt es oft Kritik an den Standorten der Messstationen. Der Europäische Gerichtshof hat hier nun Klarheit geschaffen und die bisherige deutsche Praxis bestätigt.

Die Luft ist in einigen Städten besser geworden - und doch wurde der EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid 2018 immer noch in 57 Städten überschritten. Foto: Andreas Arnold
Die Luft ist in einigen Städten besser geworden - und doch wurde der EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid 2018 immer noch in 57 Städten überschritten. Foto: Andreas Arnold - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Dicke Luft in der Innenstadt, Kritik aus Brüssel, Fahrverbote: Deutschland und andere Staaten stehen unter Druck, weil in Dutzenden Städten der EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid überschritten wird.

Aber wird überhaupt richtig gemessen? Und wie schlimm ist es, wenn an einem einzigen Punkt ein Grenzwert gerissen wird? Der Europäische Gerichtshof hat nun ein klares Urteil gefällt.

Worum ging es bei dem Fall?

Mehrere Brüsseler Bürger und die Umweltorganisation ClientEarth haben geklagt, weil die belgische Hauptstadt aus ihrer Sicht zu wenig gegen schmutzige Luft tut. ClientEarth hatte nach eigenen Angaben entdeckt, dass Messstationen an zwei Brüsseler Hauptverkehrsstrassen zwischen 2008 und 2014 abgeschaltet waren. Formal geht es darum, ob der Brüsseler Luftreinhalteplan EU-Recht genügt. Das zuständige belgische Gericht bat den EuGH bei zwei Fragen um Auslegung der EU-Richtlinie über Luftqualität: Können Bürger gerichtlich überprüfen lassen, ob an der richtigen Stelle gemessen wird? Und ist ein zu hohes Ergebnis für Stickstoffdioxid, Feinstaub oder andere Schadstoffe an einem einzigen Messpunkt schon eine Verletzung des EU-Grenzwerts?

Was haben die Richter nun genau geurteilt?

Die obersten EU-Richter haben beide Fragen eindeutig mit «Ja» beantwortet. Bürger sollen die Standortwahl von Messstellen vor Gericht prüfen lassen können. Und der Wert einer einzelnen Messstation soll ausschlaggebend sein - nicht der Mittelwert mehrerer Punkte. Denn dort, wo Grenzwerte überschritten werden, seien Gesundheitsschäden zu befürchten.

Die Richter folgen damit der EuGH-Generalanwältin Juliane Kokott, die in einem Gutachten zum selben Schluss gekommen war. Mit Blick auf die Frage, ob Durchschnittswerte für ein Gebiet sinnvoll seien, schrieb sie: «Der Witz über den Statistiker, der in einem See ertrinkt, obwohl dieser im Durchschnitt nur wenige Zentimeter tief ist, bringt dies treffend zum Ausdruck.»

Welche Bedeutung hat das Urteil - vor allem für Deutschland?

Die Auslegung des EU-Rechts durch den EuGH gilt für alle Mitgliedsstaaten. Der Gerichtshof hat mit der Entscheidung die Rechte von Menschen gestärkt, die unter zu hoher Schadstoffbelastung leiden, etwa Anwohner vielbefahrener Strassen. Sie können nun leichter klagen und Abhilfe einfordern, wenn Messwerte an einzelnen Punkten zu hoch ausfallen.

Für Dieselfahrer hingegen ist das Urteil keine gute Nachricht. Die Fahrzeuge werden unter anderem für hohe Stickoxid-Belastungen verantwortlich gemacht. Den Behörden - auch in Deutschland - ist nun eine strikte Auslegung des EU-Rechts bei Grenzwertüberschreitungen vorgegeben. Und wenn gar nichts anderes hilft, werden oft Fahrverbote für Diesel debattiert und verhängt.

Was bedeutet das Urteil für die Debatte über Messstationen in Deutschland?

Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte mehrfach Zweifel an den Standorten von Messstationen geäussert. Es könne nicht sein, dass die Geräte direkt an Kreuzungen oder Busbahnhöfen aufgebaut würden, sagte er etwa. Die FDP sprach von «Messwahnsinn» und forderte ebenfalls, Messstellen nicht in nächster Nähe von Emissionsquellen aufzustellen.

Die EuGH-Richter haben derartigen Einwänden nun allerdings weitgehend die Grundlage entzogen. In der EU-Richtlinie 2008/50 ist bereits vorgegeben: Zu erfassen seien «Daten über Bereiche innerhalb von Gebieten und Ballungsräumen, in denen die höchsten Konzentrationen auftreten».

Die nationalen Behörden müssten die Messstationen so aufstellen, dass die Gefahr unbemerkter Überschreitungen von Grenzwerten minimiert werde, erklärten die Richter nun weiter. Das bedeutet, dass auch an «Hotspots» gemessen werden muss. Die Auswahl der Standorte müsse sich zudem auf wissenschaftlich fundierte Daten stützen und die Auswahlkriterien müssten dokumentiert werden.

Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) wertete das Urteil als Unterstützung im Kampf für bessere Luft in den Städten. Das Ministerium erläuterte, die bisherige Handhabung der EU-Vorgaben in Deutschland werde bestätigt. Dazu gehöre, dass Messstationen auch dort aufzustellen seien, wo die höchste Schadstoffkonzentration zu erwarten sei.

Scheuer (CSU) sagte, an den Diesel-Fahrverboten in Deutschland ändere sich damit nichts. In Deutschland werde sehr streng gemessen, nach dem Urteil sehe er keinen direkten Handlungsbedarf.

Wie ist denn die Situation im Moment in Deutschland genau?

Die Luft ist in einigen Städten besser geworden - und doch wurde der EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid 2018 immer noch in 57 Städten überschritten, wie das Umweltbundesamt Mitte Juni bekannt gab. Ein Jahr zuvor waren es noch 65 Städte und 2016 sogar 90. Der EU-Grenzwert liegt bei 40 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel. Die bundesweit höchste Belastung hatte im vergangenen Jahr Stuttgart mit 71 Mikrogramm, danach folgten Darmstadt mit 67 und München mit 66 Mikrogramm.

Sind nicht auch die Grenzwerte umstritten?

Eine Gruppe von rund 100 Lungenärzten hatte den Sinn in Frage gestellt. Es kam aber breiter Widerspruch nicht nur von der EU-Kommission, sondern auch von anderen Wissenschaftlern. Das Helmholtz-Zentrum München schrieb in einem Papier zu NO2, Feinstaub und Ozon: «Gesichert ist, dass sich dadurch die Lebenszeit verkürzt und Lungenerkrankungen sowie Herzkreislauferkrankungen ausgelöst werden.» Verkehrsminister Scheuer drang dennoch auf eine Überprüfung der Grenzwerte. Die EuGH-Richter zogen die bestehenden Grenzwerte in ihrem Urteil nicht in Frage.

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