Das Blutvergiessen im Ukraine-Krieg hält an - und das Schlimmste steht womöglich noch bevor. Das Pentagon in den USA geht davon aus, dass die Stadt Cherson an die Russen gefallen ist.
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Die Überreste einer russischen Rakete in Kiew. Foto: Andriy Dubchak/AP/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Die US-Regierung geht zudem davon aus, dass die Gebietshauptstadt Cherson im Süden der Ukraine höchstwahrscheinlich von der russischen Armee kontrolliert wird.
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«Es gibt gewiss Anzeichen dafür, dass (die Russen) das tun», sagte Pentagon-Sprecher John Kirby am Abend dem Sender CNN. Man müsse aber vorsichtig sein, die US-Amerikaner hätten niemanden vor Ort, der das bestätigen könne. «Wir können es also nicht mit Sicherheit sagen, aber wir haben keinen Grund, an den Berichten zu zweifeln, die von den Ukrainern selbst kommen, dass die Russen in Cherson sind.»

Russen bombardieren Ukraine weiter

Russland verstärkte derweil am achten Tag der Invasion abermals seine Luftangriffe auf Ziele in der Ukraine. Nach Angaben ukrainischer Behörden gab es auch am Donnerstag wieder Dutzende Tote - allein 33 in der Grossstadt Tschernihiw, wo augenscheinlich ein Wohnblock getroffen wurde.

Laut den Vereinten Nationen sind inzwischen mehr als eine Million Menschen geflüchtet, bis zu zehn Millionen könnten es nach UN-Schätzung werden. Auch die EU-Kommission rechnet mit mehreren Millionen Kriegsflüchtlingen, die nach einem Beschluss der Mitgliedstaaten vom Donnerstag schnell und unkompliziert aufgenommen werden sollen.

Russlands Staatsführung macht derweil wenig Hoffnung darauf, dass der militärische Druck auf die Ukraine und das Blutvergiessen dort bald nachlassen könnten. «Wir sind gesprächsbereit, aber wir werden unsere Operation fortsetzen», sagte Aussenminister Sergej Lawrow. Präsident Putin zeigte sich demonstrativ zufrieden mit dem Erreichten und sagte bei einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats, der Militäreinsatz verlaufe «streng nach Zeitplan und nach Plan».

In dem Telefonat mit Macron drohte Putin nach Kreml-Angaben, weitere Forderungen an die Ukraine zu stellen. Zuvorderst gehe es um die Demilitarisierung der Ukraine und deren neutralen Status. Putin habe betont, dass die Ziele der «militärischen Spezial-Operation», wie Russland den Krieg bezeichnet, in jedem Fall erreicht würden.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gab sich weiter kämpferisch. «Sie werden hier keinen Frieden haben, sie werden hier kein Essen haben, sie werden hier keine ruhige Minute haben», sagte er in einer Videobotschaft über die russischen Truppen. Ausserdem forderte er Putin erneut zu direkten Gesprächen auf.

Die militärische Lage

Bei den russischen Angriffen auf die ostukrainische Millionenstadt Charkiw und deren Umgebung wurden nach Angaben örtlicher Behörden am Mittwoch und Donnerstag mindestens 34 Zivilisten getötet und Hunderte verletzt, darunter mehrere Kinder. Diese Angaben können nicht unabhängig überprüft werden.

Auch in der Hauptstadt Kiew gab es in der Nacht mehrere schwere Explosionen. Luftalarm wurde ausgelöst, wie die Agentur Unian berichtete. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko schrieb bei Telegram: «Der Feind versucht, in die Hauptstadt durchzubrechen.» Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs setzten sich russische Truppen nördlich und nordwestlich von Kiew in 20 bis 30 Kilometern Entfernung von der Stadtgrenze fest und errichteten Feldlager.

Die südukrainische Hafenstadt Mariupol ist nach russischen Angaben inzwischen komplett eingeschlossen. Die rund 440.000 Einwohnern haben nach Angaben örtlicher Behörden weder Wasser, Heizung noch Strom. Die südliche Gebietshauptstadt Cherson wurde von der ukrainischen Armee offenbar aufgegeben.

Nach Einschätzung aus US-Verteidigungskreisen sind bislang 90 Prozent der rund 150.000 zuvor an der Grenze zur Ukraine versammelten russischen Soldaten in das Land vorgerückt. Davon wurden laut ukrainischen Angaben seit Beginn des Kriegs etwa 9000 russische Soldaten getötet. Hunderte Militärfahrzeuge, darunter mehr als 200 Panzer, sowie Dutzende Flugzeuge und Hubschrauber seien zerstört worden. Russland hatte am Mittwoch 498 getötete Soldaten in den eigenen Reihen bestätigt und von fast 3000 toten «Soldaten und Nationalisten» auf der Gegenseite gesprochen. Auch diese Angaben können nicht unabhängig überprüft werden.

Weltstrafgericht ermittelt zu Kriegsverbrechen

Der Chefankläger des Weltstrafgerichts, Karim Khan, leitete Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine ein. Bundesaussenministerin Annalena Baerbock verlangte rasche Untersuchungen. «Schwere Menschenrechtsverletzungen müssen strafrechtlich verfolgt werden», sagte sie in einer Videobotschaft bei der Sitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf.

Bundeskanzler Olaf Scholz wies indes den Vorwurf zurück, Deutschland habe mit der Lieferung von Waffen an die Ukraine zu lange gewartet. Ziel müsse jetzt eine Waffenruhe sein und der Rückzug der russischen Truppen, sagte er am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung «Maybrit Illner». Richtig sei, weiter mit Sanktionen Druck zu machen und Spielräume für Diplomatie zu erhalten.

Um den Druck auf Russland zu erhöhen, kündigte die US-Regierung weitere Sanktionen an. Sie richten sich gegen zahlreiche Oligarchen, die Putin «trotz seiner brutalen Invasion in die Ukraine weiterhin unterstützen», wie das Weisse Haus mitteilte - und gegen andere Vertraute des Präsidenten wie dessen Sprecher Dmitri Peskow. Sie alle würden vom US-Finanzsystem abgeschnitten und den Zugriff auf Vermögenswerte wie Jachten und Luxuswohnungen verlieren. Auch Grossbritannien verhängte weitere Sanktionen gegen zwei dem Kreml nahe stehende Oligarchen, die ebenfalls auf der US-Sanktionsliste stehen.

Besteht die Gefahr eines Atomkriegs?

Angesichts der massiven Spannungen zwischen dem Westen und der Atommacht Russland treibt die Sorge vor einer nuklearen Eskalation der Lage nicht nur den russischen Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow um. «Das wäre natürlich ein Alptraum, aber ich schliesse nicht aus, dass es irgendwann tatsächlich Versuchungen geben könnte, auf den nuklearen Knopf zu drücken», sagte er.

Angesichts gleichlautender Warnungen auch aus anderen Ländern warf Russland dem Westen Panikmache vor. «Alle wissen, dass ein Dritter Weltkrieg nur ein nuklearer sein kann», sagte Lawrow. Diese Frage stelle sich aber nur in den Köpfen westlicher Politiker und nicht in denen der Russen. Muratow ist allerdings auch Russe.

Regierungskritische Stimmen haben es in Putins Russland ohnehin schwer, nun wird nach anderen unabhängigen Medien auch der populäre kremlkritische Radiosender Echo Moskwy dichtgemacht. Der Verwaltungsrat habe entschieden, den Sender und seine Internetseite zu schliessen, teilte Chefredakteur Alexej Wenediktow in Moskau mit. Der Sender hatte kritisch über Russlands Krieg berichtet und war für viele Russen, die Propaganda der Staatsmedien ablehnen, die wichtigste Informationsquelle.

Auch der unabhängige Online-Sender Doschd stellt angesichts des harten Vorgehens der Behörden die Arbeit ein - wenn auch zunächst nur vorübergehend, wie es hiess. Nach Angaben von Chefredakteur Tichon Dsjadko haben er und weitere führende Redaktionsmitglieder das Land inzwischen verlassen.

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