Fluthelfer in Cherson: «Sie schiessen die ganze Zeit»
Die Flut in Cherson hat die bisher schwerste humanitäre Krise ausgelöst. Helfer retten im Gefechtslärm Menschen aus der Krisenregion.
Das Wichtigste in Kürze
- In der von Russland besetzten Region Cherson stehen tausende Häuser unter Wasser.
- Es besteht die Gefahr, dass sich Seuchen verbreiten könnten.
- Während Helfer versuchen, die Menschen in Sicherheit zu bringen, dauert der Beschuss an.
Ganze Dörfer, Tausende Häuser stehen im Gebiet Cherson unter Wasser. Oft ragen nur noch die Dächer heraus, wie Drohnenaufnahmen aus der Krisenregion zeigen. Tausende lassen sich in Sicherheit bringen, aber viele können nicht loslassen.
«Die Bewohner stehen unter Schock, sie denken, wenn das Wasser weg ist, wird alles gut. Aber das wird es nicht», sagt Helfer Wlad Pojanskyj von der ukrainischen Hilfsorganisation Vostok SOS gegenüber der DPA.
Die Menschen haben nach dem Einmarsch der russischen Truppen die Besatzung überstanden, sich über ihren Rückzug gefreut. Nun müssen sei zusehen, wie ihr Leben in den Fluten versinkt.
«Dabei hält der Beschuss an. Sie schiessen die ganze Zeit, während wir versuchen, die Leute in Sicherheit zu bringen. Sie wollen das Chaos nur noch grösser machen», sagt Pojanskyj über die Russen. Die Besatzer sind von Cherson aus gesehen auf der anderen Uferseite.
Kommen die richtigen Probleme erst noch?
«Wir erhalten aus dem besetzten Gebiet viele Hilferufe, aber können nichts tun. Wir sind keine Soldaten», sagt er traurig. Auf der rechten Uferseite, die unter Kontrolle der Ukraine steht, laufe die Hilfe gut, es gebe viele Freiwillige. Doch Pojanskyj erwartet, dass die richtigen Probleme erst noch kommen.
«Es gibt unfassbar viele tote Tiere, so viele verendete Hunde, die Kadaver sind überall zu sehen. Es wird Seuchen geben.» Für die Bewohner sei die Lage aber auch wegen des fehlenden Trinkwassers gefährlich, Quellen und Brunnen seien geflutet. Rund 80 Ortschaften liegen im Überschwemmungsgebiet.
Die russische Seite spielt die Folgen seit der Zerstörung des Damms am Dienstag herunter. Staatsmedien in Moskau berichten von einer «Überschwemmung». Kiew dagegen spricht von der «grössten menschengemachten Umweltkatastrophe» und vergleicht die Flut mit dem Einsatz einer «taktischen Atombombe».
Wasser könnte noch weiter steigen
Von mindestens acht Toten und Dutzenden Verletzten ist auf der von Russland besetzten linken Seite des Flusses Dnipro die Rede. «Leider gibt es Opfer, das ist unausweichlich bei einer Katastrophe dieses Ausmasses», sagt der örtliche Besatzungschef Wladimir Saldo. 5800 Menschen seien bisher gerettet worden.
Von unabhängiger Seite ist das nicht zu überprüfen. Saldo rechnet mit einem weiteren Anstieg des Wassers, womöglich noch für Tage. Schon jetzt seien mehr als 22'200 Häuser unter Wasser, in 17 Ortschaften. Bis zu 12 Meter hoch steht demnach teils das Wasser.