Frankreich Wahlen: Emmanuel Macron hat sich doch nicht verzockt
Frankreichs Wähler verhindern überraschend einen Sieg der Rechtsradikalen bei den Parlamentswahlen. Macrons Pläne sind laut einem Experten aufgegangen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die «republikanische Front» hat in Frankreich den Aufstieg der Rechtsradikalen gestoppt.
- Stattdessen holt das Linksbündnis den Wahlsieg, verpasst aber die absolute Mehrheit.
- Jetzt blockieren sich drei Lager und die Macron-Mitte ist damit am Schalthebel.
- Laut Experten ist der Poker des französischen Präsidenten also doch aufgegangen.
Vor einer Woche hatte der rechtsradikale Rassemblement National (RN) die erste Runde der Parlamentswahl in Frankreich mit grossem Abstand gewonnen. Daraufhin wurde darüber geschimpft, dass Emmanuel Macron mit der Auflösung des Parlaments den Weg für die Rechtsextremen in die Regierung geebnet hatte.
Nun folgte am Sonntagabend die grosse Überraschung: Nicht die Partei von Le Pen holt den Wahlsieg, sondern das Linksbündnis «Neue Volksfront» geht als Sieger aus dem zweiten Wahlgang hervor. Und plötzlich heisst es bei den Experten, dass der Poker von Macron doch aufgegangen ist: Durch die Neuwahlen wurde der vermeintlich unaufhaltsame Aufstieg von Le Pen und Co. vorerst gestoppt.
Prof. Olivier Roy vom «European University Institute» in Florenz meint gegenüber der «Bild»: «Die alten anti-faschistischen Reflexe der Linken haben funktioniert.» Insofern habe Macrons vom Volk geforderte «Klarstellung» funktioniert. Roy sagt aber auch, dass eine «Führungsfigur» fehle. «Der Neue Volksfront wird vielleicht einige Zeit halten, doch Macron kann Linken-Führer Mélenchon niemals zum Premier ernennen.»
«Ohne Zustimmung des Präsidenten wird niemand Premierminister»
Das heisst, dass sich für die Regierungsbildung bei Linken und Mitte die Spreu vom Weizen trennen muss. Macron und seine Anhänger werden versuchen, die extrem linken Kräfte aussen vor zu halten und mit gemässigten Le-Pen-Gegnern eine eigene Regierung unter einem Premier zu bilden, der landesweit akzeptiert werden kann.
Wer das sein soll, ist bisher völlig offen. Klar ist laut Prof. Roy einzig: «Frankreich ist nicht wie Italien oder Deutschland, wo eine Mehrheit im Parlament reicht, um zu regieren. Ohne Zustimmung des Präsidenten wird niemand Premierminister.»
Der Experte erklärt weiter, dass das Experiment «cohabitation» (Wohngemeinschaft) – also ein Präsident mit einem Premier aus dem gegnerischen Lager – bisher zweimal geklappt habe. Damals sei aber die Mehrheit im Parlament klar gewesen – jetzt habe man drei Lager, die sich gegenseitig blockieren.
Das Fazit von Prof. Roy: «Die Mitte ist letztlich am Schalthebel, weil die Franzosen im letzten Moment doch Angst vor den Extremen haben.» Also eigentlich genau das, worauf Macron gewettet hatte.
Linke Allianz verpasst absolute Mehrheit
Die Abgeordneten der linkspopulistischen LFI (La France Insoumise), der Sozialisten, der Grünen, der Kommunisten und weiterer linker Gruppierungen dürften laut Hochrechnungen auf 172 bis 192 Sitze kommen. Diese absolute Mehrheit (289) hat die Allianz aus Sozialisten, Linksextremen und Grünen mit grossem Abstand verfehlt.
Platz 2 schaffte die Partei von Emmanuel Macron: «Ensemble» («Zusammen»). Das Bündnis dürfte zwischen 150 und 170 Abgeordnete stellen und konnte damit im zweiten Wahlgang eine allzu heftige Niederlage abwenden.
Le Pen und ihr Top-Kandidat Jordan Bardella (28) sind enttäuschte Dritte. Der RN dürfte auf 132 bis 152 Sitze kommen. Das ist zwar ein starker Zuwachs im Vergleich zur Parlamentswahl 2022 (89 Sitze), doch gemessenen an den Ambitionen nach der ersten Runde, ein herber Absturz.
Die «republikanische Front» lebt
Das starke Abschneiden des linken Wahlbündnisses wurde unter anderem möglich, weil Kandidaten aus Macrons Bündnis darauf verzichteten, in der Stichwahl anzutreten. Es handelt sich dabei um Kandidatinnen und Kandidatinnen, die im ersten Wahlgang nur den dritten Platz erreicht hatten. Sie machten den Weg frei, um nicht-radikalen Konkurrenten den Sieg über den RN zu ermöglichen.
Ähnlich hatte Macron bislang bei den beiden vergangenen Präsidentschaftswahlen 2017 und 2022 gesiegt. Wähler, die im ersten Wahlgang für den linken Kandidaten Jean-Luc Mélenchon gestimmt hatten, gaben im zweiten Wahlgang ihre Stimme Macron, um eine rechtsradikale Präsidentin zu verhindern.
Die sogenannte «republikanische Front» hat in Frankreich also einmal mehr den Unterschied gemacht. Diese «Front» bezeichnet den Zusammenschluss linker, liberaler und konservativer Kräfte, die gemeinsam den Aufstieg der Rechtsradikalen verhindern.