Gestohlenes Goldnest - «Machtdemonstration» der Clans?
Das goldene Nest leuchtete durch die Scheibe direkt neben der Eingangstür der Grundschule. Möglicherweise sollte das Kunstwerk der Schule ein wenig Glanz verleihen. Es entwickelte aber auch Anziehungskraft auf ganz andere Bewunderer.
Das Wichtigste in Kürze
- «Lockruf des Goldes» hiess ein berühmter Roman des Autors Jack London.
Ob kriminelle Kreise in Berlin sich für Literatur interessieren, weiss man nicht. Die Anziehungskraft des Goldes ist aber nicht zu übersehen.
Nach dem Diebstahl einer 100 Kilogramm schweren Goldmünze vor zwei Jahren galt der neueste Coup einem filigraneren Objekt: ein Vogelnest aus purem Gold, 74 dünne Zweige, 814 Gramm schwer, mindestens 30.000 Euro wert. Einbrecher stahlen es in der Nacht zu Mittwoch aus einer Grundschule in Berlin-Marzahn. Erneut richtet sich der Verdacht der Kriminalpolizei gegen kriminelle Mitglieder arabischstämmiger Clans.
Zwei Häuser oder Wohnungen, ein Juweliergeschäft und ein Auto, vor allem in Ortsteilen des Berliner Grossbezirks Neukölln, wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft noch am Mittwoch durchsucht. Dabei soll es auch um das Haus eines führenden Mitglieds einer bekannten Grossfamilie gegangen sein. Das bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft nicht, sagte aber, die Massnahmen hätten im Clanmilieu stattgefunden.
Wie die Polizei so schnell auf bestimmte Verdächtige kam, wurde nicht verraten. Der «Tagesspiegel» berichtete aber, Polizei-Fahnder hätten vor dem Einbruch drei Jugendliche aus dem Umfeld zweier polizeibekannter Grossfamilien an der Grundschule beobachtet. Die beiden Älteren sollen Intensivtäter sein. Die Polizei soll intern gewarnt haben, dass ein Einbruch geplant sein könnte. Zudem soll eine Sicherheitstür in der Schule beschädigt gewesen sein.
Das Kunstwerk «Goldenes Nest» lag in einer Glasvitrine in der Fuchsberg-Grundschule. Die Vitrine ist in eine Wand des Gebäudes eingelassen. Das Nest ist durch die Scheibe für jeden gut sichtbar - und zog schnell Kriminelle an.
Angefertigt hat es der Künstler Thorsten Goldberg im Rahmen eines Wettbewerbs zum Neubau der Schule. Bei öffentlichen Gebäuden ist vorgeschrieben, dass ein kleiner Teil der Kosten für «Kunst am Bau» ausgegeben wird. Schon kurz nach der Eröffnung der Schule im Herbst gab es im November einen ersten Einbruchsversuch, im Februar einen zweiten. Nun waren die Einbrecher erfolgreich. Sie zertrümmerten eine Scheibe der Vitrine und verschwanden mit dem Gold-Nest.
Der Künstler sagte dem «Tagesspiegel»: «Das Kunstwerk war besser gesichert als die Goldmünze im Bode-Museum.» Das reichte nicht. Aus den Ausstellungsräumen auf der Museumsinsel hatten Einbrecher 2017 die 100 Kilogramm schwere Münze im Wert von drei Millionen Euro gestohlen. Mehrere junge Männer aus einer arabischstämmigen Grossfamilie stehen unter Verdacht und vor Gericht. Die Münze blieb verschwunden. Die Polizei nimmt an, dass sie eingeschmolzen wurde. Dieses Ende könnte auch dem Vogelnest drohen.
In den vergangenen Wochen rückten die Clans wieder in die Öffentlichkeit. Der frühere Berliner Sozialarbeiter und heutige Politologe Ralph Ghadban erhielt Polizeischutz, weil er bedroht wurde. Ghadban (geb. 1949 im Libanon) warnt seit vielen Jahren vor bestimmten Grossfamilien, im vergangenen Jahr erschien sein Buch: «Arabische Clans. Die unterschätzte Gefahr.» Nach einem Interview kürzlich im libanesischen Fernsehen, wurde er im Internet massiv angegangen, so dass die Polizei aktiv wurde.
Am letzten Wochenende berichtete «Der Spiegel» über den Fall eines Nachbarschaftsmobbings mit Bezug zu einem Clan. Bewohner eines ganzen Mietshauses sollen unter Angriffen, Drohungen, zerstochenen Reifen und beschädigten Türen leiden. Die Polizei ermittelt wegen einer ganzen Reihe von Anzeigen gegen einen Mann, der verwandt sein soll mit einem der bekannten Clans.
Die Wohnung, die der Verdächtige in dem Haus bewohnt, soll bereits 2017 wegen des Verdachts auf Geldwäsche von der Staatsanwaltschaft vorläufig beschlagnahmt worden sein. Bei einem Interview, dass ein Polizei-Pressesprecher in Uniform einem Kamerateam gab, stellte sich der Verdächtige provokativ mit Sonnenbrille schweigend neben den Polizisten und starrte in die Kamera.
Die Polizei in Berlin und Nordrhein-Westfalen bemüht sich seit dem vergangenen Jahr, härter gegen kriminelle Mitglieder der Clans vorzugehen. In NRW stellte die Landesregierung am Mittwoch das bundesweit erste Lagebild dazu vor. Das Bundeskriminalamt hatte eine ähnliche Analyse für den Sommer bereits angekündigt, auch das Berliner Landeskriminalamt bereitet ein Papier vor.
NRW spricht von rund hundert kriminellen Clans. Pro Jahr sollen sie zuletzt knapp 5000 Taten begangen haben. Unter den Verdächtigen seien 380 Intensivtäter überwiegend im Alter zwischen 14 und 26 Jahren. Es gehe um Raub, Erpressung und Körperverletzung. Das Geld werde vor allem mit Drogen, Shisha-Bars und Wettbüros verdient. Die Hochburg der türkisch-arabischstämmigen Grossfamilien in NRW sei Essen.
Der Berliner Senat beschloss nach zahlreichen Raubüberfällen auf Schmuckabteilungen und Geldtransporter, nach Schlägereien und Schiessereien einen Fünf-Punkte-Plan gegen die Clans. Seit dem Herbst gibt es wöchentliche Razzien in Shisha-Bars und Spielhallen. Luxusautos werden kontrolliert, mehr Häuser und Wohnungen sollen beschlagnahmt werden.
Ob die verstärkten Polizeieinsätze in den abgeschotteten Parallelwelten wirken, muss sich zeigen. Der Diebstahl des Goldnestes sei ja auch «eine Machtdemonstration», so die Staatsanwaltschaft.
Über die Zukunft des Nestes sollten eigentlich nach 14 Jahren Lehrer und Schüler entscheiden. So hatte es der Künstler bestimmt und im Internet beschrieben. Sollte die Vitrine geöffnet werden, hätte das Nest sofort zerstört und das Gold verkauft werden müssen. Die Entscheidung über das Einschmelzen übernehmen jetzt wohl andere.