Waffenruhe in Nahost - Rufe nach umfassender Lösung
Im Gaza-Konflikt schweigen die Waffen. Die Menschen in Israel und im Gazastreifen können zunächst einmal aufatmen. Die UN mahnen die Wiederaufnahme ernsthafter Friedensgespräche an.
Das Wichtigste in Kürze
- Nach Beginn der Waffenruhe im Gaza-Konflikt dringt die internationale Politik auf eine dauerhafte Friedenslösung.
US-Präsident Joe Biden sagte, die Waffenruhe biete eine wirkliche Chance, Fortschritte hin zu einem dauerhaften Frieden zu machen. Die Bundesregierung forderte, dass weiter an einem substanziellen politischen Dialog gearbeitet werde. Die Europäische Union (EU) bot dabei Unterstützung an. «Die Wiederherstellung eines politischen Horizonts für eine Zwei-Staaten-Lösung bleibt von grösster Bedeutung», erklärte ihr Aussenbeauftragter Josep Borrell. Die Waffenruhe gilt seit dem frühen Freitagmorgen, Verstösse gab es bis zum Nachmittag nicht.
Unter Vermittlung Ägyptens hatten sich Israel und die im Gazastreifen herrschende Hamas nach elf Tagen militärischen Schlagabtauschs auf die Waffenruhe verständigt. Beide Seiten warnten aber, die Waffenruhe werde bei einer Missachtung der Verständigung hinfällig. In den vergangenen Tagen hatte es intensive Bemühungen um eine Deeskalation gegeben. Bei dem jüngsten Konflikt kamen nach Behördenangaben mehr als 250 Menschen ums Leben.
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hatte sich während des muslimischen Fastenmonats Ramadan und nach der Absage der palästinensischen Parlamentswahl zugespitzt. Als Auslöser gelten unter anderem heftige Zusammenstösse auf dem Tempelberg (Al-Haram al-Scharif) in der Altstadt von Jerusalem. Die Anlage mit Felsendom und Al-Aksa-Moschee ist die drittheiligste Stätte im Islam. Sie ist aber auch Juden heilig, weil dort früher zwei jüdische Tempel standen. Die islamistische Hamas hat sich zum Bewahrer Jerusalems erklärt. Am Freitag kam es auf dem Tempelberg erneut zu Konfrontationen.
Der künftige Status der Stadt ist eine der zentralen Streitfragen des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern. Israel beansprucht Jerusalem als «ewige und unteilbare Hauptstadt» für sich. Die Palästinenser halten ihrerseits an ihrem Anspruch auf Ost-Jerusalem als Hauptstadt fest.
Eskaliert war der Konflikt am 10. Mai mit Raketenbeschuss der Hamas auf Jerusalem. Militante Palästinenser schossen nach israelischen Angaben danach insgesamt 4340 Raketen aus dem Palästinensergebiet auf das Land ab - viele fing das Abwehrsystem «Iron Dome» ab, viele gingen nach israelischen Angaben auch im Gazastreifen nieder. Besonders hart betroffen waren die Menschen im Grenzgebiet zum Gazastreifen. Erstmals erreichten Raketen in beträchtlicher Zahl auch die Küstenmetropole Tel Aviv, das Wirtschaftszentrum Israels. In Israel starben zwölf Menschen, mehr als 300 wurden verletzt.
Israel reagierte auf den Beschuss mit massiven Angriffen im Gazastreifen, etwa auf das weit verzweigte Hamas-Tunnelsystem. Nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums wurden 243 Menschen getötet, unter ihnen 66 Kinder und Jugendliche. Rund 1900 Menschen wurden verletzt. Hunderte Häuser wurden beschädigt oder zerstört. Nach der Verkündung der Waffenruhe strömten Tausende in dem Küstengebiet am Mittelmeer auf die Strassen. Sie zündeten Feuerwerkskörper, gaben Schüsse in die Luft ab und riefen «Allahu akbar!» (Gott ist gross!). Israel zweifelt die Opferzahlen des von der Hamas geführten Ministeriums an. Verteidigungsminister Benny Gantz sagte, mehr als 200 Kämpfer von Hamas und Islamischem Dschihad seien durch israelische Angriffe getötet worden.
Nach Ansicht von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geht sein Land gestärkt aus dem Konflikt hervor. Er sprach von «neuen Spielregeln». «Wir haben die Gleichung nicht nur für die Zeit der Operation, sondern auch für die Zukunft verändert.» Die Hamas erklärte sich zum Sieger der Auseinandersetzung. Pro-iranische Gruppen in der arabischen Welt wie die Hisbollah im Libanon bezeichneten die Waffenruhe als Erfolg für die Hamas und die Palästinenser.
Die Waffenruhe löse die eigentlichen Probleme nicht, warnte der Direktor des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA), Matthias Schmale. «Es wird wieder ein Krieg ausbrechen, solange die fundamentalen Ursachen nicht angegangen werden.» UN-Generalsekretär António Guterres pochte auf die Wiederaufnahme ernsthafter Gespräche. Nach israelischen Angaben wollte US-Aussenminister Antony Blinken in Kürze zu Gesprächen in die Region reisen.
Seit der gewaltsamen Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen 2007 und vor dem jüngsten Konflikt haben sich Israel und die Hamas drei Kriege geliefert. Israel und Ägypten halten das dicht besiedelte Gebiet mit etwa zwei Millionen Einwohnern unter Blockade und begründen dies mit Sicherheitserwägungen.