Jüdisches Leben: Rufe nach Klassenbesuchen in Synagogen
Antisemitismus ist in Deutschland ein gesamtgesellschaftliches Problem. Beim Kampf gegen Vorurteile können Besuche an Orten helfen, die für Juden eine ganz besondere Bedeutung haben.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Kampf gegen Antisemitismus halten die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, und Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle Besuche von Klassen in Synagogen für sinnvoll.
Sie würde es sich wünschen, dass die Synagogenführungen in München nach der Corona-Krise von Schulklassen und Volkshochschulen noch stärker nachgefragt werden, sagte Knobloch im Vorfeld des Festakts «1700 Jahre jüdisches Lebens in Deutschland» am Sonntag in München. «Wer beim Thema Judenhass gesellschaftlich ansetzen möchte, dessen Hebel muss die Bildung sein», betonte sie.
Auch Spaenle begrüsst die Besuche von Schülern und Schülerinnen in den Gotteshäusern. Eine Pflicht, dass Klassen dies machen müssen, so wie es bei KZ-Gedenkstätten ist, hält der frühere bayerische Kultusminister aber nicht für sinnvoll. Es gebe mehrere tausend weiterführende Schulen und dort etwa eine Million Schüler, auf der anderen Seite stünden nur 13 jüdische Gemeinden im Freistaat. «Das ist schlicht und einfach logistisch nicht machbar», sagte Spaenle. Im Fall der Besuche in den KZ-Gedenkstätten sind diese fest in den bayerischen Lehrplänen verankert.
Der Landesbeauftragte sagte, es gebe neben den von den Gemeinden noch genutzten Synagogen allerdings noch zahlreiche andere Orte, an denen kulturelles Erbe da sei und die für Bildungsangebote zur Verfügung stünden. So gebe es im Fall der ehemaligen Synagoge von Ichenhausen im schwäbischen Landkreis Günzburg schon lange vorbildliche Angebote für Klassen, meinte Spaenle.
Knobloch sagte, sie fordere schon lange, politische Bildung und Demokratiebildung in den Schulen stärker zu verankern. Bereits in den Grundschulen müsse dies beginnen. Viele Menschen wüssten zu wenig über jüdisches Leben und kämen zu selten mit jüdischer Kultur in Kontakt. «Die Wissenslücken werden dann oft mit Vermutungen oder eben Vorurteilen aufgefüllt, und das bereits bei Kindern», so die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.
Im Rahmen des Jubiläumsjahres soll es in der Landeshauptstadt eine Outdoor-Ausstellung «Jüdische Geschichten aus München und Oberbayern» geben. Auf acht Litfasssäulen unternimmt die Schau einen alphabetischen Streifzug durch das jüdische Leben, pro Säule gibt es drei Ausstellungstafeln. Die Schau ist bis zum 8. Oktober zu sehen.
In den vergangenen Jahren war die Zahl der antisemitischen Straftaten in Bayern und auch in den anderen Bundesländern stark gestiegen: Zuletzt registrierte die Kripo im Freistaat rund 350 Taten pro Jahr, überwiegend waren Rechtsextremisten die Täter. Auch bei etlichen Demonstrationen von Gegnern der staatlichen Corona-Massnahmen wurden judenfeindliche Vorfälle registriert.
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) betonte bei der Ausstellungseröffnung am Sonntag laut Redeskript, jüdisches Leben und jüdische Kultur seien in der bayerischen Landeshauptstadt wieder selbstverständlich. «Das ist ein grosses Geschenk, dessen Wert gar nicht hoch genug geschätzt werden kann.»
Der früheste Nachweis für jüdisches Leben auf dem Territorium des heutigen Deutschlands stammt aus dem Jahr 321. Damals erliess der römische Kaiser Konstantin ein Gesetz, das den Juden eine Berufung in den Kölner Stadtrat ermöglichte. Bundesweit gibt es in diesem Jahr rund 1000 Veranstaltungen rund um jüdisches Leben.