Verdachtsfälle anzeigen, Missbrauchstäter aus dem Amt entfernen: Der Papst veröffentlicht strikte Regeln, die Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen und Aufklärung garantieren sollen. Allerdings: Gelten sollen die Neuerungen nur im Vatikan.
Papst Franziskus hat Dokumente mit Regeln unterzeichnet, die Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen sollen. Foto: Vincenzo Livieri/LaPresse via ZUMA Press
Papst Franziskus hat Dokumente mit Regeln unterzeichnet, die Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen sollen. Foto: Vincenzo Livieri/LaPresse via ZUMA Press - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Erstmals hat ein Papst umfassende Regeln für den Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch für den Vatikanstaat aufgestellt.
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Der Vatikan veröffentlichte dazu drei von Papst Franziskus unterzeichnete Dokumente - einen Erlass, ein Gesetz und einen Richtlinienkatalog. Unter anderem legt Franziskus fest, dass im Vatikan von Sommer an bereits der Verdacht auf Missbrauchsfälle unverzüglich angezeigt werden muss. Zudem sollten verurteilte Täter von ihren Posten entfernt werden, hiess es.

Die Massnahmen waren nach der historischen Anti-Missbrauchskonferenz im Vatikan Ende Februar in Aussicht gestellt worden und sollen am 1. Juni in Kraft treten. Auch wenn die Regelungen nur den Kirchenstaat betreffen, sendet Franziskus damit ein Signal - schliesslich ist der Vatikan das Machtzentrum der Kirche. Wegen schwerwiegender Missbrauchsskandale in mehreren Ländern steht Franziskus unter Druck, seinen klaren Worten auch Taten folgen zu lassen.

«Wir haben alle (...) die Pflicht, Minderjährige und schutzbedürftige Personen mit Selbstlosigkeit aufzunehmen und für sie ein sicheres Umfeld zu schaffen», erklärte das Katholikenoberhaupt in dem päpstlichen Erlass («Motu Proprio»). Der Schutz von Kindern sei «wesentlicher Bestandteil» der Botschaft des Evangeliums.

Sexueller Missbrauch durch Geistliche wurde in der Vergangenheit in vielerlei Hinsicht und in vielen Ländern kleingeredet oder vertuscht - auch in Deutschland. In einer von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen und im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie waren beispielsweise etliche Missbrauchsfälle dokumentiert worden.

Im Vatikan wird es künftig zur Pflicht, schon den Verdacht auf Missbrauchsfälle unverzüglich anzuzeigen - mit der Einschränkung, dass dabei das Beichtgeheimnis nicht verletzt werden dürfe. Wird ein Verdachtsfall nicht sofort angezeigt, drohen Sanktionen. Die Verjährungsfrist wird angehoben. Zudem sollen Personen, gegen die wegen Missbrauchsverdachts ermittelt wird, von Kindern und Jugendlichen ferngehalten werden. Obendrein soll bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch oder auf die Misshandlung von Kindern auch ohne Anzeige strafrechtlich ermittelt werden können.

Die nun veröffentlichten Regeln gelten für Personen, die die vatikanische Staatsbürgerschaft besitzen oder im Kirchenstaat wohnen. Der kleinste Staat der Welt hat um die 800 Einwohner - gut 300 davon sind Diplomaten. Minderjährige sind kaum darunter. Doch das Gesetz kann den Angaben zufolge auch auf Kinder angewendet werden, die sich regelmässig im Vatikan aufhalten, etwa auf jene 35 Jungen zwischen 9 und 13 Jahren, die Teil des Chors der Sixtinischen Kapelle sind.

Die katholische Reformbewegung «Wir sind Kirche» begrüsste die neuen Regeln. «Auf dem Missbrauchsgipfel waren konkrete Schritte versprochen worden. Es ist ein gutes Zeichen, dass jetzt etwas folgt», sagte Sprecher Christian Weisner in Würzburg. Es seien aber noch weitere Schritte nötig.

Der Pontifex will mit den neuen Regeln nach eigenem Bekunden dafür sorgen, dass «bei allen» in der römischen Kurie und im Vatikan das Bewusstsein für die Pflicht wachse, Missbrauch zu melden und mit den zuständigen Behörden zu kooperieren.

Der Sprecher des Opferverbands «Eckiger Tisch», Matthias Katsch, forderte vom Papst Normen und Leitlinien für die Aufarbeitung von Missbrauch und für die Entschädigung von Opfern in den Bistümern in aller Welt, «nicht nur seinem eigenen». Auch der italienische Opferverband Rete L'abuso kritisierte, dass die neuen Regeln nur im Vatikan gelten sollen. Man frage sich, wie Hilfe «je für die Opfer aus aller Welt zugänglich sein soll, sollen sie sich in den Vatikan begeben, um Unterstützung zu bekommen?».

In dem Richtlinienkatalog wird Priestern und anderen kirchlichen Mitarbeitern im Vatikan, die mit Kindern zu tun haben, «strengstens untersagt», eine besondere Beziehung zu einem einzelnen Minderjährigen aufzubauen oder sich einem Kind in anstössiger Weise zu nähern. Auch darf ein Kind demnach nicht aufgefordert werden, ein Geheimnis für sich zu behalten; zugleich darf ein Geistlicher ein Kind nicht beschenken. Vatikan-Mitarbeiter dürfen Minderjährige dem Regelwerk zufolge nur fotografieren und filmen, wenn sie dafür ausdrücklich das Einverständnis der Eltern haben.

In Deutschland wird nach Angaben der katholischen Kirche seit 2010 automatisch bei jedem Verdacht auf sexuellen Missbrauch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Die Anzeigepflicht entfalle nur, wenn das Opfer dies ausdrücklich wünsche. Als Konsequenz auf die im September bekanntgewordenen mehr als 1600 Missbrauchsfälle in den vergangenen Jahrzehnten hatten die deutschen Bischöfe zuletzt zudem beschlossen, neben der umstrittenen Verpflichtung der Priester zur Ehelosigkeit (Zölibat) auch die äusserst konservative Sexualmoral der Kirche zur Diskussion stellen zu wollen.

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