Krieg und Flucht - Wer braucht jetzt dringend Hilfe?
Das Wichtigste in Kürze
- Hunderttausende Vertriebene in Syrien, Tausende frierende Migranten in der West-Türkei, verzweifelte Geflüchtete auf den griechischen Inseln: Wer braucht aktuell besonders dringend Hilfe? Und was sollte Deutschland da beitragen?
Wenn hierzulande in Talkshows und im Parlament darüber gestritten wird, gehen manchmal auch wichtige Fakten unter. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Wird Deutschland Flüchtlingskinder aus Griechenland aufnehmen?
Vielleicht. Das Problem ist seit Jahren bekannt. Passiert ist wenig. Städte wie Köln, Hannover und Potsdam stehen zwar bereit, um Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern auf den Inseln leben, aufzunehmen. Doch auch wenn sie Unterkünfte vorweisen können: Hier geht es nicht nur um Betten. Traumatisierte Flüchtlinge warten in Deutschland schon jetzt im Schnitt über ein halbes Jahr auf einen Therapieplatz. Und über die Einreise entscheidet allein die Bundesregierung.
Steht die Regierung den Kommunen im Weg?
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ist zwar auch dafür, den Kindern und Jugendlichen zu helfen. Er sagt aber, erst müsse die Lage an der türkisch-griechischen Grenze unter Kontrolle gebracht werden. Zudem müssten sich an einer Aufnahme auch andere EU-Staaten beteiligen. Er will verhindern, dass der Eindruck entsteht, jeder, der es nach Griechenland schafft, komme am Ende nach Deutschland. Die EU-Kommission hat jetzt versprochen, «einen sicheren Ort für diese Kinder» zu suchen. Was das genau heisst, ist noch nicht klar.
Warum bringt man die Flüchtlinge von den Inseln nicht aufs Festland?
Der EU-Türkei-Deal, sieht vor, dass Migranten ohne Asylanspruch von Griechenland in die Türkei zurückgeschickt werden. Für jeden Zurückgeschickten nimmt die EU dann einen Syrer aus der Türkei auf. Diese Regelung gilt allerdings nur für Migranten von den Inseln.
Was hat die Lage im syrischen Idlib mit Griechenland zu tun?
Die Menschen die von der Türkei in die EU drängen, sind nicht aus Idlib gekommen. Sie stammen grösstenteils aus Afghanistan, dem Iran und aus afrikanischen Staaten. Und die Syrer, die unter ihnen sind, leben meist schon seit Jahren in der Türkei. Einen Zusammenhang gibt es aber dennoch. Denn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fordert schon lange, die Europäer sollten helfen, eine Schutzzone in der syrischen Provinz Idlib einzurichten, damit zu den 3,6 Millionen Syrern, die sein Land aufgenommen hat, nicht eine weitere Million Flüchtlinge kommt. Zum Beispiel, indem sie Beobachter schicken, oder den Druck auf die Kriegspartei Russland erhöhen.
Geht es nicht auch um Geld?
Ja. Die Türkei will von der EU auch mehr Geld für die Versorgung der Flüchtlinge. Und sie möchte möglichst selbst entscheiden, wofür die Milliarden ausgegeben werden. Um den Druck auf die EU zu erhöhen, ermutigt Erdogan seit dem vergangenen Wochenende Syrer, die in der Türkei leben, und Migranten aus anderen Staaten, sich in Richtung Griechenland aufzumachen. «Es gibt drei Problemfelder, Idlib, Flüchtlinge in der Türkei und die Lager auf den griechischen Inseln - in der politischen Debatte wird das leider alles in einen Topf geworfen», sagt die Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, Franziska Brantner.
Ist die Bundesregierung nicht auch für eine Schutzzone in Syrien?
Doch. Deshalb hat sie jetzt auch die Waffenruhe begrüsst, die Erdogan mit dem wichtigsten Schutzpatron der syrischen Regierung - Russlands Präsident Wladimir Putin - ausgehandelt hat. Denn ohne eine solche Vereinbarung werden es Hilfsorganisationen nicht wagen, in Idlib humanitäre Hilfe zu leisten. Auch die 100 Millionen Euro, die Deutschland jetzt den Vereinten Nationen als Soforthilfe angeboten hat, können daran nichts ändern. In den vergangenen Monaten waren in den von Rebellen und islamistischen Kämpfern kontrollierten Gebieten der Provinz unter anderem Märkte, Schulen und Krankenhäuser Ziel von Luftangriffen geworden. Aufgrund von Video-Material, Augenzeugenberichten und abgefangener Kommunikation geht eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen davon aus, dass auch Russland daran beteiligt war.
Und was bedeutet das?
Angesichts dieser heiklen Lage, ist umstritten, wer mit welchen Mitteln auf Dauer eine Schutzzone durchsetzen sollte. Sollte das Nato-Mitglied Türkei beispielsweise bei dem Versuch, in Idlib eine Flugverbotszone zu schaffen, auch russische Kampfjets abschiessen, könnte Russland mit Angriffen auf türkischem Boden reagieren. Das ist kein Szenario, in das sich die Bundeswehr hineinbegeben würde.
Wie kann Deutschland Syrern in Idlib oder in der Türkei helfen?
«Vor einer Direktaufnahme von Migranten und Bürgerkriegsflüchtlingen aus der Türkei möchte ich warnen», sagt Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU). Wenn unter diesen Menschen der Eindruck entstehe, Europas Grenzen seien offen, werde sich eine sehr grosse Zahl von Menschen auf den Weg machen. Frei erklärt: «Migrationspolitik ist Kommunikationspolitik - wir dürfen keine falschen Signale senden.» Bei den Zahlungen, die Erdogan von der EU erwartet, hält er Flexibilität für geboten: «Es lässt sich sowohl über die Höhe als auch die Modalitäten als auch den Zeithorizont sprechen.»
Und jenseits von Finanzhilfen?
Franziska Brantner sagt: «Das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad will die Bevölkerung von Idlib, Zivilisten und Kämpfer, loswerden. Dort droht ein weiteres Massaker.» Notwendig seien deshalb individuelle Sanktionen wie das Einfrieren von Konten gegen die Verantwortlichen der dort begangenen Völkerrechtsverbrechen.