Ostukraine: Deutschland und Russland fordern Deeskalation
Wieder gibt es Tote in der Ostukraine - trotz einer Waffenruhe. Bundeskanzlerin Merkel wendet sich mit deutlichen Worten auch an Moskau. Doch Kremlchef Putin sieht den Schuldigen woanders.
Das Wichtigste in Kürze
- Nach neuen Gefechten und Toten in der Ostukraine haben Deutschland und Russland die Konfliktparteien zur Zurückhaltung aufgerufen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte bei einem Telefonat mit Präsident Wladimir Putin einen Abbau der «verstärkten russischen Militärpräsenz im Umfeld der Ostukraine». Ziel sei eine Deeskalation der Lage, teilte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer in Berlin mit. Russlands Präsident machte dem Kreml zufolge hingegen einmal mehr die Ukraine für die neue Eskalation verantwortlich. Unterdessen fuhr der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in das Konfliktgebiet.
Sein Besuch sollte den «Kampfgeist» der Soldaten stützen, wie das Präsidialbüro in Kiew erklärte. An der Front verteilte er Orden und andere Auszeichnungen. «Ich danke Ihnen dafür, dass sie die Ruhe für die Menschen bewahren und unser Land schützen», sagte der 43-Jährige. Auf Bildern war zu sehen, wie er in Schutzweste und mit Helm in einem Schützengraben ging und einen Unterstand besuchte.
Der Krieg zwischen prorussischen Kräften im Donbass und den ukrainischen Truppen brach nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch vor sieben Jahren aus. Seither werden Teile der Gebiete Donezk und Luhansk entlang der russischen Grenze von moskautreuen Separatisten kontrolliert. Mehr als 13.000 Menschen starben nach UN-Schätzungen in dem blutigen Konflikt. Der 2015 unter deutsch-französischer Vermittlung vereinbarter Friedensplan liegt auf Eis. Die EU hat wegen des Kriegs Sanktionen gegen Russland verhängt.
In den vergangenen Tagen wuchs nach Berichten über russische und ukrainische Truppenaufmärsche entlang des Konfliktgebiets und wegen Verstössen gegen eine Waffenruhe international die Sorge, dass der Konflikt erneut eskalieren könnte.
Russland sieht in dem Vorgehen Kiews der vergangenen Tage «ein Ringen um internationale Aufmerksamkeit». «Das sind wahrscheinlich nur PR-Handlungen», sagte der russische Chefunterhändler bei der Lösung des Ukraine-Kriegs, Dmitri Kosak, der Agentur Interfax zufolge. Reale Absichten, einen grossflächigen Krieg zu entfachen, gebe es aber wohl nicht.
Der Vertraute Putins warnte Selenskyj zudem mit deutlichen Worten: «Der Beginn von Kämpfen wird der Beginn vom Ende der Ukraine sein.» Wenn Kinder mit Streichhölzern spielten, sei schwer vorherzusagen, was passiere. Russland könne sich zu einem Eingreifen gezwungen sehen, um die Menschen im Donbass zu schützen. Russland gewährt trotz internationalem Protest Bewohnern der ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk die russische Staatsbürgerschaft.
Am Donnerstag starben erneut mindestens zwei Menschen bei Gefechten. Nach Angaben der ukrainischen Armee gab es Schusswechsel mit den moskautreuen Separatisten vor allem beim ehemaligen Donezker Flughafen und bei Wodjane in der Nähe des Asowschen Meeres. Es seien auch Mörser eingesetzt worden. Damit stieg die Zahl der Toten trotz einer seit Juli geltenden Waffenruhe seit Jahresbeginn auf rund 50.
«Wir erinnern uns an jeden Kämpfer, der bei der Verteidigung unseres Staates gefallen ist», sagte Selenskyj an der Front. Zeichen der Deeskalation gab der Präsident nicht. Er besuchte stattdessen eine Soldatenkantine und lobte die «hohe Qualität der Speisen». Selenskyj hatte im Wahlkampf 2019 noch versprochen, den Konflikt zu beenden.
Nach Angaben aus Moskau zeigten sich Putin und Merkel besorgt über die Lage. Die Verhandlungen müssten deshalb verstärkt werden, damit der 2015 vereinbarte Friedensplan «als unbestrittene Grundlage» für ein Ende des Konflikts vollständig umgesetzt werde. Mahnende Worte kamen auch aus den USA.
US-Präsident Joe Bidens Sprecherin Jen Psaki sagte im Weissen Haus, die USA seien «angesichts der der jüngst eskalierenden russischen Angriffe in der Ostukraine zunehmend besorgt». An der russischen Grenze zur Ukraine gebe es inzwischen so viele russische Soldaten wie nicht mehr seit 2014. Zudem seien allein in dieser Woche fünf ukrainische Soldaten getötet worden. «Das sind alles sehr besorgniserregende Zeichen», sagte Psaki.
Putin gab dagegen dem Kreml zufolge Kiew die Schuld für die «provokativen Handlungen», mit der die Lage entlang der Front verschärft worden sei. Die Ukraine müsse die zuvor getroffenen Vereinbarungen «strikt einhalten». Dazu gehörten ein direkter Dialog mit den Separatisten in den Gebieten Luhansk und Donezk und ein Autonomiestatus für die Region. Beides lehnt jedoch die ukrainische Seite vehement ab.
Der russische Chefunterhändler Kosak kündigte unterdessen neue Gespräche auf Beraterebene zwischen Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine noch in diesem Monat an. Berlin und Paris versuchen seit Jahren, den Konflikt diplomatisch zu lösen.