Nach dem Ampel-Crash kommt Rot-Grün ohne Mehrheit

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Deutschland,

Nach der Entlassung von Lindner traten alle FDP-Minister zurück. Die neue rot-grüne Regierung hat keine Mehrheit mehr.

Ampel
Die Ampel verliert gelb und damit auch die Mehrheit. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die deutsche Ampel-Regierung ist Geschichte.
  • Übergangsmässig soll eine rot-grüne Koalition regieren, die aber keine Mehrheit hat.
  • Am 15. Januar will Olaf Scholz die Vertrauensfrage stellen.

Nach dem dramatischen Platzen der Ampel-Koalition werden heute die Scherben zusammengekehrt. Der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach einem beispiellosen Zerwürfnis gefeuerte Finanzminister Christian Lindner (FDP) erhält am Nachmittag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Entlassungsurkunde. Scholz, der Lindner mehrfachen Vertrauensbruch und Kleinkariertheit vorgeworfen hat, wird wohl dabei sein – jedenfalls ist das so üblich.

Um einen fliessenden Übergang zu gewährleisten, soll sofort anschliessend Lindners Nachfolger oder Nachfolgerin die Ernennungsurkunde erhalten. Der Name soll schon feststehen, ist aber noch nicht öffentlich bekannt. Auch die Posten, die durch den angekündigten Rücktritt der anderen drei FDP-Minister frei werden, sollen möglicherweise schon heute neu besetzt werden – jeweils zwei von SPD und Grünen.

Rückkehr von Rot-Grün nach 19 Jahren

Damit gibt es dann zum ersten Mal seit 2005 wieder eine rot-grüne Regierung, die allerdings keine Mehrheit im Parlament hat. Sie soll auch nur für eine Übergangsphase bestehen, von der man noch nicht genau weiss, wie lange sie dauern wird. Am 15. Januar will Scholz die Vertrauensfrage im Bundestag stellen, um eine Neuwahl herbeizuführen. Die muss wegen zweier im Grundgesetz verankerter Fristen von insgesamt 81 Tagen spätestens Anfang April stattfinden. Als wahrscheinlichster Termin gilt derzeit der 30. März, weil dann in keinem Bundesland Ferien sind.

Scholz
Wohl Ende März kommt es in Deutschland zu Neuwahlen. Wie es dann weitergeht mit Olaf Scholz, ist unklar. - keystone

Der Bruch der ersten Koalition von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene war am Mittwochabend nach einem erbitterten Richtungsstreit vor allem über den künftigen Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik erfolgt. Scholz hatte in den Verhandlungen unter anderem ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse gefordert.

Angesichts der verfahrenen Lage hatte Lindner dann in der Sitzung des Koalitionsausschusses mit allen Partei- und Fraktionsspitzen am Mittwochabend vorgeschlagen, gemeinsam eine Neuwahl des Bundestags in die Wege zu leiten.

In einer anschliessenden Sitzungspause landete der Lindner-Vorschlag in der Öffentlichkeit, mehrere Medien berichteten darüber, woraufhin Scholz den Bundespräsidenten um die Entlassung seines Finanzministers bat. Als Reaktion zog die FDP alle ihre Minister aus dem schon seit vielen Monaten heillos zerstrittenen Dreier-Bündnis ab. Und besiegelte somit das Ende der Ampel.

Scholz rechnet knallhart mit Lindner ab

Die offensichtlich schon länger vorbereitete Rede des Kanzlers, in der er den Rausschmiss Lindners ankündigte, wurde von vielen Parteifreunden später als der beste Auftritt seiner Amtszeit gelobt. Sie war vor allem eine knallharte Abrechnung mit dem Finanzminister.

Scholz warf Lindner vor, in der gemeinsamen Regierungszeit Kompromisse durch öffentlich inszenierten Streit übertönt und Gesetze sachfremd blockiert zu haben. «Zu oft hat er kleinkariert, parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.» Es gebe deswegen keine Basis für die weitere Zusammenarbeit. «So ist ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich.»

In einer SPD-Fraktionssitzung wurde Scholz dafür anschliessend mit stehendem Applaus und rhythmischem Klatschen gefeiert. Ein Moment, den der Kanzler in seiner Parteikarriere so wohl nur selten erlebt hat. Das Verhältnis des 66-Jährigen zu seiner Partei gilt als unterkühlt.

Mützenich: Lindner-Entlassung war «notwendige Entscheidung»

Olaf Scholz erhielt auch Rückendeckung von Fraktionschef Rolf Mützenich: Jeder in der Fraktion habe gespürt, dass der Kanzler «eine schwere, aber notwendige Entscheidung» getroffen habe, sagte er nach einer Sitzung der SPD-Abgeordneten.

Dass Lindner dem Kanzler Neuwahlen abverlangen wollte, sei ein «schwerwiegender Vertrauensbruch» gewesen. Scholz habe dem Koalitionspartner geduldig einen Weg für die Modernisierung des Landes aufgezeigt. «Ich hätte mir gewünscht, dass der Finanzminister diesen Weg mitgegangen wäre.»

Lindner schlägt zurück: «Kalkulierter Bruch»

Der entlassene FDP-Chef gab die Vorwürfe an Scholz zurück. Der SPD-Politiker habe den Bruch der Ampel-Koalition gezielt herbeigeführt. «Sein genau vorbereitetes Statement vom heutigen Abend belegt, dass es Olaf Scholz längst nicht mehr um eine für alle tragfähige Einigung ging, sondern um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition», sagte Lindner. Damit führe Scholz Deutschland in eine Phase der Unsicherheit.

Lindner warf SPD und Grünen vor, seine Vorschläge für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert zu haben. Scholz habe die wirtschaftlichen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger lange verharmlost.

«Seine Gegenvorschläge sind matt, unambitioniert und leisten keinen Beitrag, um die grundlegende Wachstumsschwäche unseres Landes zu überwinden, damit wir unseren Wohlstand, unsere soziale Sicherung und unsere ökologische Verantwortung erhalten können.»

Lindner: Scholz verlangte Verletzung des Amtseids

Scholz habe ultimativ von ihm verlangt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen, sagte Lindner. «Dem konnte ich nicht zustimmen, weil ich damit meinen Amtseid verletzt hätte. Deshalb hat der Bundeskanzler in der Sitzung des Koalitionsausschusses am heutigen Abend die Zusammenarbeit mit mir und der FDP aufgekündigt.»

Fraktionschef Christian Dürr kündigte an, alle FDP-Minister wollten ihren Rücktritt geschlossen beim Bundespräsidenten einreichen. Neben Lindner sind das Verkehrsminister Volker Wissing, Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger.

Neue Allianzen: Scholz will auf einmal auf Merz zugehen

SPD und Grüne werden ab heute ohne Mehrheit regieren und sind bei jeder Entscheidung im Parlament auf Unterstützung aus der Opposition angewiesen. Der Union kommt damit eine besondere Rolle zu.

Scholz will Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) in der Übergangsphase anbieten, rasch gemeinsam nach Lösungen zur Stärkung der Wirtschaft und der Verteidigung zu suchen. «Ich werde nun sehr schnell auch das Gespräch mit dem Oppositionsführer, mit Friedrich Merz suchen», sagte der Kanzler. Er wolle Merz anbieten, in zwei oder gerne auch noch mehr Fragen, «die entscheidend sind für unser Land, konstruktiv zusammenzuarbeiten: bei der schnellen Stärkung unserer Wirtschaft und unserer Verteidigung.»

Scholz: Brauchen jetzt Klarheit

Die Wirtschaft könne nicht warten, bis Neuwahlen stattgefunden haben, ergänzte Scholz und fügte hinzu: «Und wir brauchen jetzt Klarheit, wie wir unsere Sicherheit und Verteidigung in den kommenden Jahren solide finanzieren, ohne dafür den Zusammenhalt im Land aufs Spiel zu setzen.» Auch mit dem Blick auf die Wahlen in Amerika sei das «vielleicht dringender denn je». Donald Trump hat die Präsidentschaftswahl in den USA kurz vor dem Ampel-Crash gewonnen.

Wie weit der Kanzler mit seinen Avancen an die Union kommt, wird man sehen. Scholz und Merz konkurrieren bei der nächsten Wahl um die Kanzlerschaft. Ihr persönliches Verhältnis gilt nach kernigen Auseinandersetzungen im Bundestag als ziemlich zerrüttet. Merz hat Scholz mal als «Klempner der Macht» bezeichnet. Und Scholz hat dem CDU-Chef erst im September in der Generaldebatte des Bundestags ins Gesicht gesagt: «Sie können es nicht, das ist die Wahrheit, mit der wir konfrontiert sind.»

Söder: «Jetzt darf keine Zeit mehr verloren werden»

Aus der Union kommen bereits Forderungen nach einer möglichst schnellen Bundestagswahl. «Die Ampel ist Geschichte. Jetzt darf keine Zeit mehr verloren werden», schrieb Söder beim Kurznachrichtendienst X. Deutschland brauche nun rasch Neuwahlen und eine neue Regierung. «Taktische Verzögerungen darf es nicht geben.»

Kommentare

User #4649 (nicht angemeldet)

2015 wird in die Geschichtsbücher eingehen als der Zeitpunkt, an dem Europa die öffentliche Sicherheit geopfert hat.

User #4955 (nicht angemeldet)

Der negative Einfluss der Dauergäste auf die KK-Prämien, Steuern, öffentliche Sicherheit und den Medikamentenmangel wird systematisch vertuscht und geleugnet.

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