Negativzinsen kehren Zahlungsstrom bei Darlehen nicht um
Die Zeiten von Negativzinsen sind erst mal vorbei, juristisch hallt das Ganze aber nach. Es gibt Fälle, in denen der Geldgeber am Ende seinem Schuldner Zinsen zahlen soll. Was sagt der Bundesgerichtshof?
Das Wichtigste in Kürze
- Wenn sich für ein Darlehen sogenannte Negativzinsen ergeben, müssen Banken diese nicht zwingend zahlen.
Entscheidend sind dabei nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) unter anderem der Wortlaut der entsprechenden Vereinbarung sowie der Zeitpunkt, an dem diese geschlossen wurde (Az. XI ZR 544/21). Die Entscheidung dürfte über den konkreten Fall hinaus Bedeutung haben.
Der Begriff Zins sei im Gesetz nicht definiert, sagte der Vorsitzende Richter des elften Zivilsenats, Jürgen Ellenberger. Im Rechtssinn sei Zins ein Entgelt für den Gebrauch von zeitweise überlassenem Geld. «Nach dieser Definition kann ein Zins, weil er ein Entgelt ist, nicht negativ werden.» Man könne somit von einer Untergrenze bei null Prozent ausgehen; sie müsse nicht ausdrücklich festgelegt werden.
Es bleibe dabei, dass bei einem Darlehensvertrag der Kreditnehmer der Zahler des Zinses sei, betonte Ellenberger. Den Darlehensgeber treffe keine Zinszahlungspflicht. Dieser Zahlungsstrom werde auch nicht durch die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) umgekehrt.
Land NRW verlangte als Schuldner Geld von der Bank
In dem Verfahren ging es konkret um fünf gleichlautende Schuldscheine über je 20 Millionen Euro, die das Land Nordrhein-Westfalen der Rechtsvorgängerin der DZ Hyp AG ausgestellt hatte. Vereinbart wurde im Jahr 2007 ein Zinssatz von höchstens fünf Prozent, der nach einer festgelegten Formel um einen schwankenden Referenzzinssatz berechnet werden sollte. Eine Untergrenze wurde nicht festgehalten. Im letzten Jahr der Laufzeit ab März 2016 ergab sich daraus ein negativer Wert. Das Land NRW verlangte insgesamt knapp 160.000 Euro von der Bank.
Vor dem Landgericht Düsseldorf hatte das Land NRW weitgehend Recht bekommen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hingegen wies die Klage auf die Berufung der Bank hin ab, liess aber die Revision am BGH in Karlsruhe zu. Der elfte Zivilsenat dort wies diese nun zurück.
Richter Ellenberger hatte zuvor in der Verhandlung gesagt, schon das Vokabular der Verträge, in denen unter anderem von Darlehensschuldner und Darlehensgläubiger die Rede ist, spreche für die Zahlungspflicht des Landes. BGH-Rechtsanwalt Klaus Joachim Hartung argumentierte als Vertreter des nordrhein-westfälischen Finanzministeriums dagegen, die mathematische Formel zur Berechnung des Zinssatzes sei eindeutig und ermögliche gleichermassen positive wie negative Ergebnisse. Das hätten die Verantwortlichen der Bank beim Abschluss der Verträge gewusst.
Für das Hamburger Bankhaus erwiderte dessen Rechtsanwalt am BGH, Reiner Hall, 2007 habe niemand ernsthaft mit Negativzinsen gerechnet. «Die Zinszeiten haben sich geändert», räumte er ein. Heute würde man Verträge anders verfassen. Da könne man dann alles vereinbaren – auch den Umgang mit Negativzinsen. «Aber man muss es eben vereinbaren.»
Folgen von Negativzinsen werden Justiz weiter beschäftigen
Auslöser für die Negativzinsen in den vergangenen Jahren war die Geldmarktpolitik der EZB. Mit dieser Art Strafzins für Geld, das Geldinstitute bei der Notenbank parken, sollten sie dazu gebracht werden, dieses nicht zu horten – sondern etwa in Form von Krediten auszugeben. Das sollte die Wirtschaft ankurbeln. Für Verbraucherinnen und Verbraucher mit Girokonten hatte das zum Beispiel in vielen Fällen zur Folge, dass Banken oder Sparkassen ein sogenanntes Verwahrentgelt zusätzlich zur Kontoführungsgebühr erhoben.
Die Folgen solcher Negativzinsen werden die Justiz daher weiter beschäftigen. Laut einem BGH-Sprecher liegen allein dort noch fünf vergleichbare Verfahren zur Entscheidung vor. Ein weiterer betrifft auch das Land NRW, wie das Düsseldorfer Finanzministerium mitteilte. Im Fall von Negativzinsen bei Girokonten hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf erst Ende März entschieden, dass diese rechtmässig seien. Auch hier liess es wegen der Bedeutung der Sache Revision zum BGH zu.
Der Juraprofessor Georg Bitter, der an der Universität Mannheim unter anderem Bank- und Kapitalmarktrecht lehrt, erklärte, in der Praxis sei es üblich, den Vertragszins eines Darlehensvertrags an einen Referenzzinssatz zu binden. Der BGH stelle in seiner Entscheidung sehr allgemein auf den Wortlaut der Vorschrift über das Gelddarlehen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ab. Damit gelte das Urteil für Darlehen, die mit Verbrauchern und Unternehmern vereinbart wurden, gleichermassen. Spannend bleibe die Frage, wie der BGH entscheiden wird, wenn es um die Verwahrentgelte geht. Das aktuelle Urteil erlaubt nach Bitters Einschätzung keine Einschätzung dazu.
Jedoch kritisierte der Experte auch den Hinweis des Senats auf die BGB-Vorschrift. Diese sei in einer Zeit formuliert worden, in der noch niemand an Negativzinsen gedacht habe. «Ob man deshalb in einem völlig veränderten Marktumfeld so stark auf den Wortlaut jener «alten» Vorschrift abstellen darf, lässt sich bezweifeln.»