Parkende Autos sind grosse Gefahr für Radfahrer und Fussgänger
Hunderte Fussgänger und Radfahrer verunglücken jeden Tag in Deutschland. Oft tragen geparkte Autos und plötzlich aufgerissene Wagentüren zu Unfällen bei. Ein Crashtest zeigt, welche drastischen Folgen «Dooring» haben kann.
Das Wichtigste in Kürze
- Der junge Mann ist in eher gemütlichem Tempo auf dem abgetrennten Radstreifen unterwegs, 14 Kilometer pro Stunde.
Urplötzlich öffnet rechts von ihm ein Autofahrer die Wagentür. Eine Sekunde - oder vier Meter - bleiben dem Radfahrer, um zu bremsen. Viel zu wenig.
Er kollidiert mit der Tür, sein Hals trifft auf die obere Wagentürecke, er stürzt zu Boden, bleibt auf der Fahrbahn liegen. Im realen Alltag wären es wohl zu gravierenden Folgen für den Radler gekommen, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Nicht selten gehe es bei solchen «Dooring»-Unfällen tödlich aus. Das «Unfallopfer» am Dienstag in Münster ist nur ein Dummy auf einer Crashtestanlage. Experten wollen aufrütteln.
Viele Verkehrsunfälle hängen mit Parkenden Autos zusammen
Das «Dooring»-Phänomen sei unterschätzt und bisher kaum erforscht betont Brockmann. Das gelte auch generell für die Rolle, die parkende Autos in negativer Weise für die schwächsten Verkehrsteilnehmer spielten: Fast jeder fünfte Verkehrsunfall eines Fussgängers oder Radfahrers in Deutschland (18 Prozent) hänge mit - meistens legal, seltener ordnungswidrig - geparkten Autos zusammen. Innerstädtisch sei das Problem grösser als auf dem Land.
Zentrale Zahlen: Bundesweit kamen 2019 jeden Tag zwei bis drei Radfahrer oder Fussgänger im Strassenverkehr ums Leben, 60 wurden tagtäglich schwer und 260 leicht verletzt. Insgesamt verunglückten im vergangenen Jahr 117 528 Menschen, die mit dem Fahrrad oder zu Fuss unterwegs waren. Gut jeder zweite Unfall zwischen einem Radfahrer und einem Auto, der mit Parken im Zusammenhang stehe, sei ein «Dooring»-Vorfall, warnt der Experte vom UDV, die zum Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft gehört.
Folgen eines solchen Unfalls können Schürfwunden, Knochenbrüche, Prellungen und noch deutlich Schlimmeres sein. Bei weiteren Tests sei der Dummy auch zwischen Tür und Wagen eingeklemmt worden, berichtet Ralf Bührmann, Versuchsleiter von Crashtest-Servive. Glimpflich ging es jedenfalls auf seiner Anlage bisher nicht aus. Ergebnis auch: Tritt ein Biker mit der durchschnittlichen Radfahr-Geschwindigkeit von knapp 20 km/h in die Pedale, bräuchte er elf Meter Distanz zum Fahrzeug, um rechtzeitig bremsen zu können und einer Kollision zu entgehen. Die sind aber im Realverkehr selten vorhanden. «Der Radfahrer kann an diesem Schicksal fast nichts ändern», stellt auch Brockmann zum «Dooring» fest.
Parkende Autos versperren Fussgängern häufig die Sicht
Für Fussgänger sind der Studie zufolge sichtversperrend geparkte Autos beim Überqueren einer Strasse das Problem. Und das werde in einer alternden Gesellschaft, in der zunehmend viele Menschen «nicht mehr so gut zu Fuss sind», noch wachsen, prognostiziert Brockmann. Mehr Querungsmöglichkeiten müssten geschaffen werden - etwa Mittelinseln zum kurzen Verweilen, besser noch Zebrastreifen oder Ampeln.
Und vor allem bei Strasseneinbiegungen sollten Kommunen für eine verbesserte Sicht vor und nach den Zufahrten weniger Parkplätze am Strassenrand erlauben, rät der UDV-Fachmann. Das berge allerdings Konfliktpotenzial: «Über nichts wird so heftig gestritten wie über Parkplätze.» Uneinsichtigen Parksündern, die ihre Autos besonders sichtblockierend an Strassenecken abstellten, sei mit häufigerem Abschleppen oder Pollern beizukommen.
Beim «Dooring» sieht die Studie dringend Handlungsbedarf. Die am wenigsten einschneidende Massnahme wäre nach UDV-Einschätzung: Den Autofahrer sensibilisieren, vor jedem Türöffnen in den Rückspiegel zu schauen und sich in einer 160-Grad-Drehung zu versichern, dass kein Radfahrer naht. Zudem sei mehr Abstand zwischen dem Radstreifen auf der Fahrbahn und dem Parkstreifen nötig. Das sei von grosser Bedeutung, weil der Radverkehr immer häufiger auf die Fahrbahn verlegt werde und dort ein höheres Tempo herrsche, erläutert Brockmann.
Nach Berechnungen würden Radler bei einem 70 Zentimeter-Abstand zum Parkstreifen nicht mehr von einer unvermittelt geöffneten Tür erfasst. Und wenn die Fahrbahn dafür zu eng ist? «Dann müssen die parkenden Fahrzeuge weg.» Moderne Wagen bräuchten ein Notbremssystem, um Fussgänger zu schützen, empfiehlt Brockmann. Es sei auch «kein Hexenwerk», eine Sensorik so auszugestalten, dass eine Autotür bei herannahendem Radfahrer und Warnton einen Augenblick blockiert werde. Aber: «Hersteller mögen die Idee nicht, weil sie Autofahrer für einen kurzen Moment einsperren würden.»
«Holländischer Griff»: So können Autofahrer Radler schützen
Um Unfälle mit Radfahrern beim Öffnen der Wagentüren zu vermeiden, rät ein Unfallforscher Autofahrern zum «holländischen Griff». Dabei öffnet der Fahrer nach dem Einparken seine Tür etwas umständlich mit der rechten Hand, wie Experte Siegfried Brockmann bei der Vorstellung der Studie erläuterte.
Die Bewegung erfordere eine 90-Grad-Drehung und solle den Autofahrer zugleich daran erinnern, in einer noch weiteren Drehung bis 160 Grad nach herannahenden Radfahrern zu schauen. Und sicherheitshalber noch in den Rückspiegel zu sehen.
In den Niederlanden wird der Griff oft von Fahrschulen vermittelt. Auch hierzulande werde er seit einigen Jahren mancherorts gelehrt, sagte Brockmann in Münster.
Höhere Achtsamkeit und Sensibilisierung seien wichtig, um gegen das unterschätzte «Dooring»-Problem vorzugehen. Es gebe Unbelehrbare, die man damit nicht erreichen werde. «Aber die Schusseligen könnte man mit dem holländischen Griff auf sie sichere Seite ziehen.»