Problemfall Katastrophenschutz: Streit und Schuldzuweisungen
Nach der schlimmsten Flutkatastrophe in Deutschland seit der Sturmflut in Hamburg 1962 stand erst das Leid der Menschen und die praktische Hilfe im Vordergrund.
Das Wichtigste in Kürze
- Doch mit dem Rückgang der akuten Gefahr in den Überschwemmungsgebieten gewinnt jetzt die Debatte über Versäumnisse beim Katastrophenschutz an Schärfe.
Im Fokus der Kritik steht dabei vor allem Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Dabei liegt die Entscheidung über die Ausrufung des Katastrophenfalles und die Anforderung zusätzlicher Einsatzkräfte im föderalen deutschen System bei Landkreisen und Landesregierungen. Seehofer will das auch nicht ändern. Allerdings gibt es schon seit einigen Monaten Reformpläne, die eine engere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern vorsehen.
Die Bundesregierung musste sich am Montag viele Fragen stellen lassen, nachdem eine britische Wissenschaftlerin den Behörden «monumentales» Systemversagen vorgeworfen hatte. Aus Sicht der Hydrologin Hannah Cloke von der englischen Universität Reading ist in Deutschland viel schiefgegangen. Klare Hinweise, die im Rahmen des europäischen Frühwarnsystems EFAS bereits vier Tage vor den ersten Überschwemmungen herausgegeben worden seien, seien offenbar nicht bei der Bevölkerung angekommen, sagte sie der Zeitung «Sunday Times».
Nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums hatte der Deutsche Wetterdienst am vergangenen Montag, morgens, also zwei Tage vor dem Unwetter, über die bevorstehenden Starkregenereignisse informiert. Diese Information sei an die zuständigen Katastrophenschutzstellen der Länder, Landkreise und Kommunen gegangen. «Die konkret daraus abzuleitenden Schutzmassnahmen sind jeweils von den Einsatzkräften vor Ort zu treffen», hiess es aus dem Ministerium weiter.
Seehofer machte sich am Montag unter anderem an der zwischenzeitlich von einem Dammbruch bedrohten Steinbachtalsperre in Nordrhein-Westfalen ein Bild von den Schäden. Dort entspannte sich die Lage ebenso wie in den meisten anderen Hochwassergebieten im Westen Deutschlands und etwa in Bayern.
Allein in Rheinland-Pfalz wurden bis Montag nach Polizei-Angaben 117 Unwetter-Tote gezählt. Aus Nordrhein-Westfalen waren zuletzt 47 Tote infolge der Unwetter bekannt.
Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Armin Schuster, sagte, das Bundesamt halte «ein ausgeklügeltes Warnsystem bereit für unsere eigene Zuständigkeit: den Verteidigungsfall». Solange dieser nicht vorliege, löse der Bund über das System nicht selbst aus, sondern biete es Ländern und Kommunen an, wenn sie warnen wollen. Das sei vergangene Woche «der klassische Fall» gewesen. «Ich kann Ihnen sagen: Unser Warnsystem hat funktioniert in jedem einzelnen Fall.» Der Deutsche Wetterdienst, die Hochwasserzentrale und die Kreisbehörden hätten intensiv davon Gebrauch gemacht. 150 Warnmeldungen seien über das System geschickt worden - an Fernseh- und Rundfunkanstalten, an die Warn-Apps.
«Worauf ich keinen Einfluss habe, ist, wie vor Ort mit diesen Warnungen umgegangen wird. Dieses Durchgriffsrecht hat eine Bundesbehörde nicht im Katastrophenfall. Es führen die Länder und das ist, glaube ich, auch gut so. Und es führen die Landkreise. Auch das ist richtig», sagte Schuster.
Seehofer, der nach seinem Besuch an der Steinbachtalsperre weiter nach Bad Neuenahr-Ahrweiler in Rheinland-Pfalz reiste, sagte, der Katastrophenschutz in Deutschland sei gut aufgestellt. Bund, Länder und Kommunen müssten sich aber auch gemeinsam Gedanken machen, welche Lehren aus dem Krisenmanagement der vergangenen Tage zu ziehen seien. Es wäre falsch, «in der Arroganz (zu) verharren», dass man nichts mehr verbessern könne.
In einem gemeinsamen Brief an Seehofer hatten sich mehrere Landesinnenminister im Frühjahr hinter die Pläne für ein Kompetenzzentrum von Bund und Ländern beim BBK ausgesprochen. Eine generelle Verlagerung der Verantwortung für den Katastrophenschutz auf die Bundesebene lehnten die Unterzeichner des Briefe aber ab. Sie schrieben damals mit Blick auf die Corona-Pandemie, die «Reibungsverluste bei der Umsetzung von Infektionsschutzmassnahmen, die es auf allen staatlichen Ebenen in dieser herausfordernden Zeit gab» dürften nicht zu «voreiligen Schlüssen für den Katastrophenschutz führen». Dennoch wolle man sich neuen, weitergehenden Formen der Kooperation und Koordination nicht verschliessen.
Unterzeichnet hatten den Brief die Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul (CDU), Niedersachsen, Boris Pistorius (SPD), Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz (SPD), Bayern, Joachim Herrmann (CSU), Hessen, Peter Beuth (CDU), und Baden-Württemberg, Thomas Strobl (CDU).
FDP-Bundestagsfraktionsvize Michael Theurer sagte der Deutschen Presse-Agentur nun: «Die rechtzeitigen Warnungen der Meteorologen sind weder von den Behörden noch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinreichend an die Bürgerinnen und Bürger kommuniziert worden.» Hier zeige sich ein Systemversagen, «für das der Bundesinnenminister Seehofer unmittelbar die persönliche Verantwortung trägt». Die FDP-Fraktion beantragte eine Sondersitzung des Innenausschusses. Seehofer müsse darlegen, was die Bundesregierung wann genau wusste - und was unternommen wurde, um den Katastrophenschutz sicherzustellen.
Linken-Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow brachte sogar eine Rücktrittsforderung ins Spiel. «Seehofer trägt die politische Verantwortung für das desaströse Versagen der Bundesregierung», sagte sie einer Mitteilung zufolge.
Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic sagte, da die Verantwortung im Katastrophenschutz in erster Linie bei den Ländern liegt, müsse auch dort konkret aufgeklärt werden, «an welchen Stellen Fehler gemacht wurden». In Zukunft sollte das BBK für die Bewältigung von länderübergreifenden und speziellen Lagen zuständig sein, forderte Mihalic - vergleichbar mit dem Bundeskriminalamt, das in besonderen Situationen ebenfalls eine koordinierende Rolle übernimmt.