Prozess gegen belarussische Oppositionschefin Tichanowskaja begonnen
Am Dienstag hat in Belarus der Prozess gegen die im Exil lebende Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja begonnen.
Das Wichtigste in Kürze
- In Belarus wird der Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja der Prozess gemacht.
- Die 40-Jährige bezeichnet Verfahren im AFP-Interview als «Farce».
In Belarus wird seit Dienstag der wohl bekanntesten Vertreterin der Opposition des Landes in Abwesenheit der Prozess gemacht. In der Hauptstadt Minsk begann nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Belta das Verfahren gegen die im Exil lebende Swetlana Tichanowskaja.
Vier ihrer Verbündeten wird ebenfalls in Abwesenheit der Prozess gemacht. Den fünf Angeklagten werden Hochverrat und «Verschwörung zur verfassungswidrigen Machtübernahme» zur Last gelegt.
Tichanowskaja lebt derzeit in Litauen. Sie hatte den Prozess gegenüber der Nachrichtenagentur AFP als «Farce» und «persönliche Rache» des autoritären Staatschefs Alexander Lukaschenko bezeichnet. «Ich weiss noch nicht einmal, was mein sogenannter Anwalt morgen vor diesem Gericht tun wird, wie er mich verteidigen wird», sagte Tichanowskaja am Montag.
Die 40-Jährige gilt als Gesicht der belarussischen Opposition, regelmässig prangert sie die anhaltenden Übergriffe der Regierung an. Neben ihr sind die Oppositionellen und Aktivisten Maria Moros, Pawel Latuschko, Olga Kowalkowa und Sergej Dylewski angeklagt.
Lange Haftstrafe erwartet
Sie wisse nicht, «wie lange dieser Prozess dauern wird, wie viele Tage, aber ich bin sicher, dass sie mich zu vielen, vielen Jahren Gefängnis verurteilen werden», sagte Tichanowskaja. Zugang zu Gerichtsdokumenten habe sie bisher nicht erhalten. Sie habe zwar versucht, ihren vom Gericht bestellten Anwalt zu kontaktieren, dieser habe aber nie geantwortet.
AFP sprach mit Tichanowskaja am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos, wo sie eigenen Angaben zufolge die erste Vertreterin ihres Landes seit 1992 ist. Lukaschenkos erste Amtszeit begann im Jahr 1994, Belarus ist wegen Lukaschenkos autoritären Regierungsstils seit Jahrzehnten international weitgehend isoliert.
Tichanowskaja war im Sommer 2020 bei der von massiven Betrugsvorwürfen überschatteten Präsidentschaftswahl in Belarus gegen Lukaschenko angetreten. Gemeinsam mit ihren politischen Verbündeten Veronika Zepkalo und Maria Kolesnikowa prägte sie den Wahlkampf.
Angetreten war Tichanowskaja anstelle ihres inhaftierten Mannes Sergej Tichanowski, Zepkalo trat im Wahlkampf an ihrer Seite auf. Kolesnikowa war Wahlkampfmanagerin von Viktor Babaryko, der zeitweise als aussichtsreichster Herausforderer Lukaschenkos galt. Wie viele andere Oppositionskandidaten wurde er jedoch kurz vor der Wahl festgenommen.
Bei einer Kundgebung in Minsk am 30. Juli 2020 rief Tichanowskaja vor einer Menschenmenge: «Ich bin es leid, alles ertragen zu müssen, ich bin es leid, zu schweigen, ich bin es leid, Angst zu haben. Und ihr?» Die Kandidatin wurde damals bejubelt, seit der belarussischen Unabhängigkeit im Jahr 1991 hatte eine Präsidentschaftskampagne nicht mehr solche Menschenmassen mobilisiert.
Proteste nach Wahl
Nach der Wahl Anfang August 2020 rief Lukaschenko sich zum Wahlsieger aus. Tichanowskaja betrachtet sich als eigentliche Siegerin. Proteste nach der Wahl liess der autoritär regierende Staatschef gewaltsam niederschlagen. Tausende Menschen wurden festgenommen oder flohen ins Ausland, darunter auch Tichanowskaja.
Für ihr Engagement für die Demokratie wurde sie gemeinsam mit Zepkalo und Kolesnikowa mit dem Europäischen Karlspreis ausgezeichnet. 2020 nahm sie, stellvertretend für die belarussische Opposition, den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments entgegen.
Die belarussischen Behörden gehen indes auch fast zweieinhalb Jahre nach der Präsidentschaftswahl weiter unerbittlich gegen kritische Stimmen vor. Die Menschenrechtsorganisation Wjasna zählt derzeit mehr als 1400 politische Gefangene.
Anfang Januar begann in Minsk der Prozess gegen den inhaftierten Wjasnja-Gründer Ales Bjaljazki, dem im Dezember der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Dem Demokratieaktivisten und zwei ebenfalls angeklagten Mitstreitern drohen bis zu zwölf Jahre Haft.