Putin, Assad, Trump: Ist die Welt so unsicher wie lange nicht mehr?
Ukraine-Krieg, die Lage im Nahen Osten und immer extremistischere Mächte: Ein Friedensforscher schätzt ein, ob wir in den unsichersten Zeiten seit langem leben.
Das Wichtigste in Kürze
- Kriege und Extremismus scheinen in den letzten fünf bis zehn Jahren zugenommen zu haben.
- Laut Swisspeace nehme die Anzahl Konflikte ab, die Zahl der Toten steige aber immer mehr.
- Für den Aufschwung extremistischer Bewegungen sieht das Institut mehrere Gründe.
Vor noch rund zehn Jahren schienen wir in so sicheren Zeiten wie schon lange nicht mehr zu leben. Doch seither ist vieles passiert.
Die weltweite Corona-Pandemie, die Spaltung der US-Gesellschaft nach Trumps Wahlsieg 2016 sowie der Ukraine-Krieg sind nur einige Beispiele. Hinzu kommt die Lage im Nahen Osten, die im Oktober 2023 mit dem Hamas-Angriff auf Israel eskaliert ist.
Selbst in den vergangenen zehn Tagen ist vieles passiert: Die Beziehungen zwischen den beiden Koreas sind so schlecht, dass der südkoreanische Präsident kurzzeitig das Kriegsrecht ausrief. Und in Syrien haben die Rebellen im Bürgerkrieg innert kürzester Zeit Diktator Assad vertrieben und die Hauptstadt Damaskus eingenommen.
Hinzu kommen immer extremistischere Bewegungen und Parteien, die im Vormarsch sind. So etwa die AfD in Deutschland, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet wird.
«Einige Konflikte ins hiesige öffentliche Scheinwerferlicht gerückt»
Nau.ch hat deshalb beim Schweizer Friedensforschungs- und -förderungsinstitut Swisspeace nachgefragt: Leben wir in den unsichersten Zeiten seit langem?
Das komme darauf an, wie man die Sicherheitslage der Welt messen wolle, erklärt Swisspeace-Direktor Laurent Goetschel. «Geht es beispielsweise um die Anzahl Konflikte weltweit, oder die Anzahl Menschen, die durch Konflikte getötet werden? Auch wenn erstere Zahl abnimmt, gibt es leider gleichzeitig immer mehr Todesopfer.»
Zudem seien 2023 die höchsten Militärausgaben verzeichnet worden. Und die internationale Stabilität sei unter anderem aufgrund der oben beschriebenen Konflikte und Konfrontationen stark gefährdet.
Ausserdem habe die geografische Nähe «einige Konflikte ins hiesige öffentliche Scheinwerferlicht gerückt». Und die Thematik erhalte derzeit verstärkte mediale Aufmerksamkeit. «Dies hat konsequenterweise einen Einfluss auf unsere jeweilige Einschätzung der globalen Sicherheit», sagt Goteschel.
Kein Wunder also, wägen wir uns in den unsichersten Zeiten seit langem.
Einst gemeinsam geteilte Prinzipien verlieren an Effektivität
Doch was hat sich in den letzten rund zehn Jahren geändert?
«Es scheint, als würden einst gemeinsam geteilte Prinzipien, wie mit Konflikten umzugehen und Frieden zu fördern ist, an Effektivität verlieren. Unter anderem, weil diese Prinzipien auf einem gewissen Konsens bezüglich Normen beruht hatten.»
Fehle dieser Konsens, seien auch die Prinzipien nahezu wirkungslos – was man aktuell am Beispiel der UNO veranschaulichen könne. Oder am Beispiel des Umgangs mit Atomwaffen: «Wo bestehende Rüstungskontroll- oder -begrenzungsabkommen auslaufen und neue Anläufe, wie etwa der Atomwaffen-Verbotsvertrag, zurzeit wenig Aussichten auf Erfolg haben.»
Weitere Gründe würden laut Goetschel «neuere» Herausforderungen umfassen, wie beispielsweise den Klimawandel. Die Temperaturen würden steigen: «Der Klimawandel verstärkt Konflikte rund um Zugang zu Land und Wasser, welche wiederum die Ernährungssicherheit vieler Menschen gefährdet.»
«Digitale Kommunikationsgefässe fördern Polarisierung»
Für den Aufschwung von extremistischeren Bewegungen und Parteien in letzter Zeit sieht der Swisspeace-Direktor mehrere Gründe. «Wir wissen, dass soziale und wirtschaftliche Unsicherheiten in der Vergangenheit immer wieder zu Ängsten und Vertrauensverlust in bestehende Strukturen und etablierte Institutionen geführt haben.»
Zudem hält Goetschel fest: «Unsere heutigen digitalen Kommunikationsgefässe fördern die Polarisierung und bieten eine einfache Plattform zur schnellen Verbreitung populistischer Rhetorik.» Diese wiederum würde ebendiese Ängste nutzen, um vermeintlich einfache Antworten auf komplexe Probleme zu liefern.
«Die Friedensförderung versucht mit ihren Instrumenten eigentlich das Gegenteil; nämlich Situationen in ihrer Komplexität zu verstehen und langfristigere, inklusive Lösungen zu suchen. Das macht unsere Arbeit derzeit wichtiger denn je», sagt er abschliessend.