Niederlande rücken nach rechts - Liberale sollen regieren
Nach dem Jubel folgen harte Verhandlungen: Der Rechtsliberale Mark Rutte siegt bei der Parlamentswahl. Er will mit den Linksliberalen regieren. Kein Machtwechsel - aber dennoch grosse Unsicherheit.
Das Wichtigste in Kürze
- Nach seinem Wahlsieg bei der Parlamentswahl in den Niederlanden liegt bei Premier Mark Rutte die Initiative für die Regierungsbildung.
Er kann zum vierten Mal Regierungschef des Landes werden.
Rutte drängte auf schnelle Verhandlungen. Erste Adresse ist die linksliberale D66. Sie ging überraschend stark als Nummer zwei aus der Wahl hervor. Doch die Verhandlungen werden schwierig. Das Parlament ist zersplittert wie kaum zuvor, und es machte einen deutlichen Ruck nach rechts.
Ruttes rechtsliberale VVD wurde nach den Hochrechnungen mit 35 Mandaten mit Abstand stärkste Kraft in der Zweiten Kammer mit 150 Sitzen. Doch die Show stahl Sigrid Kaag, Spitzenkandidatin von D66, der neue Star der Politik in Den Haag. Sie kam mit 24 Sitzen auf Platz zwei und verwies damit den Rechtspopulisten Geert Wilders auf Platz 3.
Der Jubel bei den Siegern war gross: Kurz nach Bekanntwerden der ersten Prognosen sprang der 54-jährige Rutte vor Freude vom Sofa. Und die Linksliberale Kaag tanzte auf dem Tisch. Rutte und Kaag werden aller Voraussicht nach das Land führen.
Doch die Koalitionsverhandlungen können schwierig werden. Sie brauchen mindestens noch zwei weitere Parteien für eine mehrheitsfähige Koalition. Rechnerisch hätte zwar das bisherige Bündnis von VVD, D66 mit Christdemokraten und der kleinen Christenunion weiter eine Mehrheit. Doch die Christdemokraten verbuchten Verluste. Und Kaag will eigentlich nur mit einer anderen progressiven Partei in die Koalition zurückkehren.
Eine beispiellose Affäre um Kinderbeihilfen konnte am Ende Rutte nichts anhaben. Seine VVD legte zwei Sitze zu und wird mit 35 Mandaten erneut die stärkste Kraft. Nach den Analysen von Wahlforschern wollen die Wähler Rutte als Krisenmanager in der Corona-Pandemie. Also gibt es keinen Machtwechsel, aber auch wenig Sicherheiten.
Wer wird auf dem Binnenhof regieren? Wie werden die Niederlande aussehen nach Corona? Das ist unklar. Die neue Koalition müsse dazu die Weichen stellen, sagt Rutte. «Wir müssen die Niederlande erst durch die Krise lotsen und dann schnell einen neuen Start ermöglichen.»
Der 54-Jährige bleibt also im «torentje» - das Türmchen ist der Amtssitz des Premiers auf dem mittelalterlichen Binnenhof in Den Haag. Ob er nach zehn Jahren nicht langsam amtsmüde werde, wurde er am Wahlabend gefragt. «O nee, ich habe Energie für weitere zehn Jahre», antwortete Rutte.
Doch nun klopft eine Nachfolgerin energisch an die Tür des Türmchens. Sigrid Kaag (59), Aussenhandelsministerin mit grosser internationaler Erfahrung, macht keinen Hehl daraus, dass sie die erste weibliche Regierungschefin des Landes werden will. Sie führte als einzige einen klar proeuropäischen Wahlkampf.
Kaag will eine «progressivere, ehrlichere und grünere Politik». Und damit besetzte sie erfolgreich die Themen der linken Parteien. Das erklärt die historischen Verluste des grün-linken Blocks. 25 Prozent der D66-Wähler hatten nach den Analysen strategisch gewählt. Für sie hatte D66 die grössten Chancen, linke Politik in einer Koalition durchzusetzen.
Klimawandel, Wohnungsnot, soziale Gerechtigkeit - alles waren Themen des Wahlkampfes. Und doch: Die grüne Partei verlor dramatisch die Hälfte der Sitze und kam nur auf sieben. Die Sozialisten haben nun neun Mandate, ein Minus von fünf, und die Sozialdemokraten konnten ihr mageres Ergebnis von neun Sitzen nach der historischen Niederlage von 2017 gerade noch halten.
Stattdessen wurden die Rechtsextremen so stark wie nie zuvor. Zwar verlor der Rechtspopulist Wilders Stimmen und kommt auf 17 Sitze. Doch mit acht Mandaten wurde das FvD von Thierry Baudet viermal so gross wie bisher. Vor allem Corona-Leugner und Gegner des Lockdown gaben ihm ihre Stimme. Erstmals im Parlament ist JA21, eine Abspaltung von FvD mit vier Sitzen. Auch wenn fast alle etablierten Parteien eine Zusammenarbeit mit Wilders und Baudet ablehnen. Der Druck von rechts ist stark. Hinzu kommt noch die Zersplitterung des Parlaments: 17 Parteien - das gab es zuletzt 1918 und ist ein schlechter Vorbote für Stabilität.