Rotkreuz-Treffen soll Humanitäres Völkerrecht entpolitisieren
Beim Treffen der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung in Genf wollen die Vertreter, die humanitäre Hilfe entpolitisieren.
Die zahlreichen Verletzungen des Humanitären Völkerrechts im Nahen Osten und in der Ukraine stehen im Zentrum des Treffens der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung und der Vertreter der Mitgliedsländer ab Montag in Genf. Die humanitären Helfer wollen die Gespräche entpolitisieren, wissen aber auch, dass man nicht «naiv» sein darf.
Die Konferenz wird mit Spannung erwartet, zumal sie wegen der Covid-19-Pandemie um ein Jahr verschoben wurde. An dem Treffen, das alle vier Jahre stattfindet, nehmen das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) und ihre 191 Mitgliedsländer sowie die Unterzeichnerstaaten der Genfer Konventionen teil. Eröffnet wird die Konferenz von Bundesrat Ignazio Cassis.
«Mehr denn je brauchen wir diese Konferenz», sagte IKRK-Sprecher Christian Cardon kürzlich vor den Medien. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz wird in der Ukraine regelmässig angegriffen, wo verschiedene Beteiligte nicht verstehen, wie sie mit den Aggressoren in Moskau einen Dialog führen kann. Das IKRK erinnere jedes Mal an seine Neutralität.
Ein weiterer Streitpunkt besteht darin, dass Israel der Meinung ist, das Humanitäre Völkerrecht einzuhalten, darunter aber nicht dasselbe versteht wie die internationale Gemeinschaft. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeit, Gesundheitszentren unter Beschuss zu nehmen, wenn terroristische Gruppen unter ihnen Büros eingerichtet haben. Auch hier pocht das IKRK auf Verhältnismässigkeit.
Da die Genfer Konventionen in diesem Jahr ihr 75-jähriges Bestehen feiern, fordert IKRK-Präsidentin Mirjana Spoljaric die Staaten auf, das Humanitäre Völkerrecht zur ersten Priorität zu machen.
«Wir sind nicht naiv»
Um dieses Ziel zu erreichen, hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz soeben mit sechs Staaten eine Initiative lanciert und ein Treffen in zwei Jahren angekündigt, um eine Bestandesaufnahme vorzunehmen. Diese Initiative und die Konflikte werden auf der Konferenz ab Montag nicht einzeln angesprochen – auch, um eine Entpolitisierung zu erreichen.
Das Treffen der Hohen Vertragsparteien der Genfer Konventionen, das die Schweiz bis Ende März zum Nahen Osten organisieren will, soll nächste Woche ebenfalls Aufmerksamkeit auf sich lenken.
Aber «wir sind nicht naiv», räumt Cardon ein. Die Delegationen, insbesondere die Vertreter der Staaten, würden angesichts der aktuellen Lage wahrscheinlich mit sehr politischen Reden kommen.
In diesem Jahr stehen fünf Resolutionsentwürfe auf der Tagesordnung. Der am dringendsten erwartete betrifft eine «Kultur der Einhaltung» des Humanitären Völkerrechts, da dieses in den verschiedenen Konflikten immer häufiger verletzt wird. «Wir müssen wieder zu unseren Prinzipien zurückfinden», sagt die Leiterin der Rechtsabteilung des IKRK, Cordula Dröge, und meint damit vor allem den Schutz von Zivilisten
Zum ersten Mal wird sich ein Resolutionsentwurf mit neuen Technologien in Konflikten befassen. Es sei schwierig, einen Konsens in dieser Frage zu erreichen, da sich die Staaten so uneinig seien, was die Anwendung des Humanitären Völkerrechts im Internet betrifft, räumt das IKRK ein.
Eine Plattform, um neue Ansätze zu testen
Die anderen Resolutionsentwürfe befassen sich mit der Anpassung von Gesetzen, um Katastrophen besser verhindern oder darauf reagieren zu können, was in den letzten Jahren bereits in Dutzenden von Staaten durchgeführt wurde, aber auch mit den humanitären Auswirkungen des Klimawandels und der Berücksichtigung lokaler Akteure, um diese ins Zentrum der Bemühungen zu stellen.
Das Treffen ist auch eine Plattform, um neue Ansätze zu testen. «Wir sind nicht bei den Vereinten Nationen, wir sprechen mit einer Stimme», sagt ein Verantwortlicher der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften. Die Resolutionen, die normalerweise im Konsens verabschiedet werden, sind für die Staaten rechtlich nicht bindend, aber die Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung setzt sie um.
Unter den 191 in Genf erwarteten nationalen Gesellschaften wird auch das Russische Rote Kreuz sein, das beschuldigt wird, die russische Armee in der Ukraine zu unterstützen.
Untersucht wurde dieser Vorwurf unter der Ägide von Manuel Bessler, ehemaliger Leiter des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe und Vizepräsident der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften. Die Experten kamen zum Schluss, dass das Russische Rote Kreuz im Einklang mit den humanitären Grundsätzen arbeitet.