Schau zum Mythos Andy Warhol in London
Einen frischen Blick auf den amerikanischen Künstler und Pop-Art-Mitbegründer Andy Warhol verspricht die Tate Modern in einer neuen Ausstellung. Dabei stehen Religion, Lebenserfahrung und Familiengeschichte des Ausnahmekünstlers im Vordergrund.
Das Wichtigste in Kürze
- Wenn Andy Warhol (1928-1987) gefragt wurde, woher er kommt, soll er regelmässig geantwortet haben: Von nirgendwo.
Diesem Mythos um seine Person, den Warhol selbst gefördert hat, geht die Tate Modern in London nun auf die Spur.
In einem Gemeinschaftsprojekt mit dem Museum Ludwig in Köln setzt die Tate-Schau «Andy Warhol» über einen der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts vor allem bei dem Menschen Warhol an.
«Wir haben uns gefragt, was macht Warhol aktuell», sagte der Direktor des Museums Ludwig, Yilmaz Dziewior, der Deutschen Presse-Agentur vor der Eröffnung in London. Der Fokus wurde dabei auf Religion, Lebenserfahrung, sexuelle Identität und Migrationshintergrund des Künstlers gelegt. «Wir verstehen über die Biografie seine Kunst besser», sagte Dziewior.
Die Aktualität von Warhols frühen Werken zu Themen wie Homosexualität, Subkultur, Polizeigewalt oder Rassismus - und seine Herkunft aus einer osteuropäischen Migrantenfamilie - stossen demnach heute auf deutliche Resonanz. Es sei das erste Mal, dass in einer Retrospektive Themen dieser Art in solch einer Intensität zugespitzt würden, sagte Dziewior. Die Ausstellung wird, in erweiterter Form, ab dem 10. Oktober auch in Köln gezeigt.
Für die Schau in der Tate, die an diesem Donnerstag (12. März) eröffnet wird und bis zum 6. September dauert, haben die Kuratoren rund 100 Werke aus dem vielfältigen Schaffen Warhols zusammengetragen: Von frühen Porträtzeichnungen über Gemälde, Drucke, Film, Musik und Performance bis zu Magazinpublikationen und TV-Shows. So kann der Besucher beispielsweise zu Rocktönen von «The Velvet Underground» in die Welt von Warhols Multimedia-Happenings eintauchen - aber erst, nachdem auf dem Weg dorthin Warhols silberne Heliumkissen (Silver Clouds) aus dem Weg geboxt oder gekickt wurden.
Ein Highlight sind drei von mehr als 100 Perücken, die Warhol in Schattierungen von strohblond bis braun anfertigen liess und trug, seitdem er in den 1950er Jahren die ersten Haare verloren hatte. Sie waren sorgfältig in Pappkartons mit falschem Schlangenlederbezug verpackt. Natürlich fehlen auch die grossen Porträtserien von Mao, Marilyn Monroe und Elvis nicht, und auch die Totenköpfe, Campbell-Suppendosen, Brillo-Boxen und grünen Coca-Cola-Flaschen werden in London gezeigt. Der Schwerpunkt der Ausstellung aber liegt auf den Themen Lust, Identität und Glaube, die sich aus Warhols Biografie ergeben, heisst es.
So sei es kein Zufall, dass Warhol Marilyn Monroe in dem Seidendruck «Round Marilyn» wie eine «wahre Ikone» aus byzantinisch-christlicher Tradition verewigt habe, erläuterte Kurator Gregor Muir. «Er verband Promi-Status und Religion in der amerikanischen Kultur.» Warhols letzte Werkserie, der zehn Meter breite Seidendruck «Abendmahl» nach Leonardo da Vinci, wertete Muir als eine «Meditation über Glauben, Tod und Sterblichkeit». Das Werk ist erstmals in Grossbritannien zu sehen. Eine Kopie des Leonardo-Gemäldes hing den Angaben zufolge in der Küche der Warhols in Pittsburgh.
Hinter all dem steckt nach Ansicht der Kuratoren die enge Beziehung Warhols zu seiner Mutter Julia Warhola, die ihrem Ehemann Ondrej 1921 über Danzig, Bremen und Liverpool in die USA folgte. Der junge Andrew (Andy) kam am 6. August 1928 in der Industriestadt Pittsburgh auf die Welt. Seine Eltern stammten aus einem kleinen Dorf in den Karpaten in der heutigen Slowakei und waren strikte Anhänger des byzantinisch-katholischen Glaubens. Ihre US-Einwanderungspapiere sind ebenfalls in London ausgestellt.
«Der junge Warhol konnte den starken religiösen Einflüssen seiner Erziehung gar nicht entfliehen, seine Mutter nahm ihn jeden Tag mit in die Kirche», sagte Muir. «Er lebte in einer Blase der tiefsten osteuropäischen Religion und Kultur.» Warhol wurde im Februar 1987 auf einem Friedhof der Byzantinisch-Katholischen Kirche in Pittsburgh begraben.