Ukraine feiert Rückeroberung der Schlangeninsel - Die Nacht im Überblick
Russland hat sich zwar von der Schlangeninsel zurückgezogen, aber 10 Menschen mit Raketen in Odessa getötet. Ukrainern droht in Lyssytschansk die Einkesselung.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Ukraine feiert die Rückeroberung der strategisch wichtigen Schlangeninsel.
- In Odessa wurde ein Wohnhaus unter Beschuss genommen, 10 Menschen starben.
- Die Ukraine hat damit begonnen, Strom in die EU zu liefern.
Während Russland in der Ostukraine weiter seine militärische Überlegenheit ausspielt, kann Kiew über die Rückeroberung der symbolträchtigen Schlangeninsel im Schwarzen Meer jubeln. Präsident Wolodymyr Selenskyj bietet Europäern derweil an, russische Erdgas-Lieferungen durch Strom aus seinem Land zu ersetzen. Im Gebiet Odessa wurden nach ukrainischen Angaben zehn Menschen beim Einschlag einer russischen Rakete in ein Mehrfamilienhaus getötet.
Selenskyj: Schlangeninsel strategisch wichtig
Der russische Rückzug von der Schlangeninsel bringt die Ukraine nach Worten von Selenskyj in eine bessere Position. «Die Schlangeninsel ist ein strategischer Punkt und das verändert erheblich die Situation im Schwarzen Meer», sagte er in der Nacht zum Freitag in seiner täglichen Videoansprache. Die Handlungsfreiheit des russischen Militärs werde dadurch deutlich eingeschränkt – auch wenn dies noch keine Sicherheit garantiere.
Russland hatte die Schlangeninsel kurz nach dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar besetzt. Dass davor die wenigen ukrainischen Soldaten dem später gesunkenen russischen Kreuzer «Moskwa» in obszönen Worten empfahlen, sich zum Teufel zu scheren, machte das kleine Eiland berühmt und stärkte die Moral der Ukrainer. Damit ist die Rückeroberung der Insel für sie auch ein symbolischer Erfolg.
Nach ukrainischen Militärangaben erlaubt die Schlangeninsel die Kontrolle über Teile der ukrainischen Küste und Schifffahrtswege. Mit dem Rückzug der Russen von der Insel müsse das Gebiet um die Hafenstadt Odessa keine Landung russischer Einheiten vom Meer her befürchten.
Militärverwaltung: Zehn Tote durch Raketenangriff bei Odessa
Luftschläge bleiben aber weiterhin möglich, wie das russische Militär wenige Stunden nach dem Abzug von der Schlangeninsel demonstrierte. Bei einem russischen Raketenangriff im Gebiet Odessa wurden nach ukrainischen Angaben zehn Menschen in einem Mehrfamilienhaus getötet.
Die Rakete habe einen Teil des neunstöckigen Gebäudes zerstört, teilte der Chef der örtlichen Militärverwaltung, Serhij Bratschuk, mit. Nach der Attacke sei ein Brand ausgebrochen. Die Rakete sei von einem russischen Militärflugzeug über dem Schwarzen Meer abgefeuert worden. Die Angaben waren nicht unabhängig zu überprüfen.
Kämpfe um Raffinerie westlich von Lyssytschansk
Im ostukrainischen Gebiet Luhansk sind die regierungstreuen Truppen in Lyssytschansk nach eigenen Angaben akut von einer Einschliessung bedroht. Die knapp sieben Kilometer westlich der Stadt gelegene Raffinerie sei umkämpft, teilte der Generalstab mit. Russische Truppen rückten aus dem Süden auf die Stadt vor, auch an der westlichen und südlichen Stadtgrenze werde gekämpft. In russischen Medien wurde die Raffinerie bereits als komplett erobert dargestellt.
Lyssytschansk ist der letzte grössere Ort im Luhansker Gebiet unter ukrainischer Kontrolle. Zuletzt konnte er nur noch über wenige Versorgungsrouten aus dem Westen mit Nachschub versorgt werden.
Im benachbarten Donezker Gebiet seien russische Vorstösse bei Slowjansk und Bachmut zurückgeschlagen worden, teilte der Generalstab mit. Entlang der gesamten Frontlinie würden ukrainische Stellungen kontinuierlich mit Artillerie beschossen und aus der Luft bombardiert. «Die Überlegenheit der Besatzer bei der Feuerkraft ist extrem spürbar», sagte Selenskyj zur Lage im Osten. Russland greife dafür auf seine Reserven zurück.
Selenskyj: Strom aus Ukraine kann russisches Erdgas ersetzen
Der ukrainische Präsident warb bei europäischen Ländern dafür, Strom aus der Ukraine zu beziehen. Damit könne ein erheblicher Teil der Erdgaslieferungen aus Russland ersetzt werden, sagte er. Seit Donnerstag liefert die Ukraine Strom nach Rumänien. «Wir sind bereit, das Angebot auszubauen», sagte Selenskyj.
Die Ukraine hatte sich Ende Februar vom ehemals sowjetischen Stromnetz abgekoppelt und zusammen mit Moldau im März mit dem europäischen Stromnetz synchronisiert. Bereits vergangene Woche bot Kiew Deutschland den Export von ukrainischen Atomstrom an. Über die Hälfte der Stromproduktion der Ukraine stellen vier Atomkraftwerke sowjetischer Bauart sicher.
Steinmeier telefoniert wieder mit Selenskyj
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier telefonierte erneut mit Selenskyj. Das Gespräch habe rund eine Stunde gedauert, hiess es aus dem Bundespräsidialamt. Steinmeier habe dabei unter anderem die Ukraine zum EU-Beitrittskandidatenstatus beglückwünscht. Selenskyj sagte, er habe sich für die bereits gewährte Unterstützung bedankt. Zugleich habe er «noch einmal unsere Prioritäten beschrieben – die Arten von Waffen, die wir brauchen».
Selenskyj und Steinmeier hatten Anfang Mai ein erstes Mal telefoniert und vorherige Irritationen ausgeräumt. Diese waren entstanden, nachdem die ukrainische Seite Mitte April Steinmeier unter Verweis auf seine frühere Russland-Politik als Aussenminister ausgeladen hatte.
Russische Zugverbindung zwischen Krim und besetzten Gebieten später
Russland verschob den für Freitag angekündigten Start einer Zugverbindung zwischen der 2014 annektierten Halbinsel Krim und den im Krieg besetzten ukrainischen Städten Cherson und Melitopol. Die prorussischen Krim-Behörden verwiesen auf Sicherheitsbedenken. Busverbindungen sollen aber wie angekündigt verfügbar sein.
Russland versucht, unter anderem mit der Ausgabe russischer Pässe und der Einführung des Rubel als Währung seine Kontrolle über die im Krieg besetzten Gebiete zu zementieren.
Das wird am Freitag wichtig
Die militärische Lage im umkämpften Lyssytschansk dürfte weiter im Mittelpunkt stehen. Selenskyj kündigte zudem – ohne nähere Details zu nennen – Neuigkeiten zu den EU-Beitrittsbemühungen seines Landes an. Die Ukraine hatte jüngst den Kandidatenstatus bekommen. Am Freitag übernimmt für ein halbes Jahr Tschechien die EU-Ratspräsidentschaft.