Ukraine Krieg – Selenskyj wirft Moskau «Nazi»-Praktiken vor
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat das Vorgehen der russischen Besatzer im Ukraine-Krieg mit den Nazi-Gräueln im Zweiten Weltkrieg verglichen.
Das Wichtigste in Kürze
- Der ukrainische Präsident vergleicht das russische Vorgehen mit den Nazi-Verbrechen.
- In einem Videok kündigt Wolodymyr Selenskyj die Befreiung aller besetzten Gebiete an.
Es gebe grausamste Folter, Deportationen, verbrannte Städte, bodenlosen Hass und nichts Lebendiges mehr unter russische Besatzung. Dies sagte Wolodymyr Selenskyj in einer am Samstag in Kiew verbreiteten Videobotschaft. Zwar würden Russen anders als die Nazis keine Seife aus den Getöteten machen – und keine Lampenschirme aus ihrer Haut. «Aber das Prinzip ist das gleiche», meinte der Staatschef nach mehr als sechs Monaten Krieg.
Selenskyj bezeichnete die vor einer Woche aus dem Gebiet Charkiw geflohenen Besatzer als «Raschisten». Und er sagte, so hätten sich auch die «Nazis» verhalten. «Raschismus» vereint die Wörter Russland und Faschismus und wird von vielen Ukrainern als Begriff für «russischer Faschismus» benutzt. Wie die «Nazis» würden auch die «Raschisten» auf dem Schlachtfeld und vor Gericht für ihre Taten zur Verantwortung gezogen.
«Wir werden die Identitäten aller ermitteln, die im Ukraine-Krieg gefoltert und misshandelt haben. Und die diese Grausamkeiten von Russland hier auf ukrainisches Gebiet gebracht haben», betonte der 44-Jährige.
Bei ihrer Flucht hätten die Besatzer Foltergeräte zurückgelassen. Ukrainische Behörden veröffentlichten unterdessen Fotos, die Folterkammern und –geräte zeigen sollen. Es seien inzwischen mehr als zehn Folterkammern in verschiedenen Städten des befreiten Gebiets Charkiw entdeckt worden, sagte er. «Folter war eine weit verbreitete Praxis in dem besetzten Gebiet.»
Aufklärung möglicher Kriegsverbrechen in der Ukraine gefordert
Nach Darstellung Selenskyjs wurden Menschen mit Drähten und Stromschlägen gequält. So sei etwa auf einem Bahnhof in Kosatscha Lopan ein Folterraum mit elektrischen Folterwerkzeugen entdeckt worden. Auch bei den in einem Waldstück nahe der Stadt Isjum gefundenen Leichen seien neue Beweise für Folter sichergestellt worden. Die Exhumierung der Toten auf der «Massengrabstätte» sei am Samstag fortgesetzt worden, sagte Selenskyj.
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht forderte die Aufklärung möglicher Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg. «Diese furchtbaren Verbrechen müssen unbedingt aufgeklärt werden. Am besten von den Vereinten Nationen», sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Die UN sollten schnellstmöglich Zugang bekommen, damit Beweise gesichert werden könnten. «Die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen müssen vor Gericht gestellt werden.»
In Isjum sind mehr als 440 Gräber mit Leichen gefunden worden. Die Menschen sollen ersten Erkenntnissen zufolge ums Leben gekommen sein, als Russland die Stadt Ende März heftig beschossen habe.
Ende März waren auch in dem Kiewer Vorort Butscha nach dem Abzug russischer Truppen Hunderte getötete Zivilisten gefunden worden. Butscha gilt seitdem als Symbol für schwerste Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg.
Ukraine-Krieg: Selenskyj kündigt Befreiung aller besetzten Gebiete an
Im Video kündigte Selenskyj an, dass neben der Ermittlungsarbeit im Gebiet Charkiw das normale Leben zurückkehren solle. Die Menschen sollten Nahrungsmittel, Medikamente, Strom und ihre Renten erhalten. Auch der öffentliche Verkehr solle wieder hergestellt werden.
Zwar räumte Selenskyj ein, es gebe aktuell keine «signifikanten Änderungen der Lage» an der Front. Zugleich betonte er aber, dass alle besetzten Gebiete befreit würden - und Russland keine Chance habe.
Es sollten die Gebiete Cherson, Luhansk, Donezk samt der dortigen Grossstadt Mariupol befreit werden. Aber auch Bedyansk in der Region Saporischschja sowie die von Russland schon 2014 annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim gehörten dazu.
Überall werde wieder die ukrainische Flagge wehen, betonte Selenskyj. «Aber wir brauchen dafür noch Zeit.» Vor allem setzt die Ukraine auf schwere Waffen des Westens, um die russischen Besatzer aus dem Land zu drängen.
Was am Sonntag wichtig wird
Im befreiten ostukrainischen Gebiet Charkiw wollen ukrainische Ermittler weiter Beweise für Kriegsverbrechen nach dem Abzug von Moskaus Streitkräften sichern. In dem Waldstück nahe der Stadt Isjum geht die Exhumierung der Leichen weiter.
Geklärt werden sollen die Identität der Menschen und die Todesursache. Zudem geht die Debatte weiter um Lieferungen etwa von deutschen Kampfpanzern in den Ukraine-Krieg. Kanzler Olaf Scholz (SPD) lehnt dies ab.