Wie die RKI-Leaks zeigen, war die Formulierung «Pandemie der Ungeimpften» des früheren deutschen Gesundheitsministers auch im RKI umstritten.
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Der ehemalige deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn bei einer Pressekonferenz zur Covid-19-Pandemie in Berlin, Deutschland, 3. Dezember 2021. - keystone/EPA/FILIP SÄNGER

Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich der Kritik an der von ihm benutzten Formulierung «Pandemie der Ungeimpften» gestellt. Dem ZDF sagte der CDU-Politiker: «Damit war gemeint bei mir, dass wir auf den Intensivstationen damals vor allem Menschen ohne Impfungen gesehen haben, die schwere und schwerste Verläufe hatten.» Das sei eine Situation gewesen, «die das Gesundheitssystem zu überfordern drohte», so Spahn.

Am Dienstag wurden bei einer Pressekonferenz ungeschwärzte Dokumente über die Sitzungen des Corona-Krisenstabs beim Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlicht. Eine Gruppe um eine Journalistin, die zu den Kritikern der Corona-Politik der deutschen Bundesregierung zählt, hatte die Unterlagen vorgestellt. Das RKI erklärte zu den sogenannten RKI-Files, es habe die Datensätze «weder geprüft noch verifiziert».

«Kann eher nicht korrigiert werden»

In einem Dokument, betitelt als Ergebnisprotokoll vom 5. November 2021, heisst es demnach von einem Vertreter eines RKI-Fachgebiets: «In den Medien wird von einer Pandemie der Ungeimpften gesprochen. Aus fachlicher Sicht nicht korrekt, Gesamtbevölkerung trägt bei. Soll das in Kommunikation aufgegriffen werden?»

Vonseiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gebe es keine Entwarnung. Regeln zu Abstand, Hygiene, Lüften würden wieder stärker in den Fokus genommen. «Dient als Appell an alle, die nicht geimpft sind, sich impfen zu lassen.» Dann äussert ein Vertreter eines anderen Fachgebiets: «Sagt Minister bei jeder Pressekonferenz, vermutlich bewusst, kann eher nicht korrigiert werden.»

Spahns «Pandemie der Ungeimpften»

Ein Sprecher Spahns sagte der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», der damalige Minister habe auf den Umstand verwiesen, dass 90 bis 95 Prozent der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen nicht geimpft gewesen seien. «Die fachliche Einschätzung aus dem RKI, dass die Gesamtbevölkerung auch beiträgt, widerspricht dem nicht.»

Spahn schrieb beispielsweise am 7. September 2021 bei Twitter: «Bei Inzidenz und auf Intensivstationen sehen wir: Wir erleben eine anwachsende Pandemie der Ungeimpften. Alle, die können, sollten sich ihren Schutz holen!»

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) teilte dem «Spiegel» mit Blick auf seinen Vorgänger mit: «Spahn hat wohl gemeint, dass sich zwar auch Geimpfte infizieren könnten, das war ja bekannt und wurde auch von ihm nicht bestritten. Es waren allerdings überwiegend Ungeimpfte, die mit schweren Verläufen auf die Intensivstation mussten». Viele der getroffenen Massnahmen seien notwendig gewesen, um besonders Ungeimpfte und das Gesundheitswesen zu schützen.

Persönlichkeitsrechte von RKI-Mitarbeitenden verletzt

Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen äusserte sich besorgt, dass mit der ungeschwärzten Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte insbesondere von Mitarbeitern des RKI verletzt würden. Zudem werde mindestens in Kauf genommen, dass ihre Sicherheit dadurch erheblich gefährdet werde.

«Es muss nun alles getan werden, dass diese Menschen, die im RKI eine ausserordentliche Arbeit zur Bewältigung dieser nie dagewesenen Gesundheitskrise für dieses Land geleistet haben, den notwendigen Schutz erfahren, der nun erforderlich geworden ist.»

Protokolle teils bereits selbst veröffentlicht

Das RKI will seine Protokolle nach Angaben Lauterbachs zu einem noch nicht genannten Zeitpunkt selbst veröffentlichen. Die Dokumente zeigen, worüber der Krisenstab bei seinen Sitzungen jeweils beriet: aktuelle Infektionszahlen, internationale Lage, Impfungen, Tests, Studien oder Eindämmungsmassnahmen.

Das RKI hatte im Mai bereits die Protokolle für die Zeit von Januar 2020 bis April 2021 weitestgehend ohne Schwärzungen veröffentlicht. Auslöser war eine vorherige Veröffentlichung stärker geschwärzter Protokolle durch das Online-Magazin «Multipolar». Dass zahlreiche Passagen zu dem Zeitpunkt geschwärzt waren, löste eine Debatte über die Unabhängigkeit des RKI aus.

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