Vortrag über Gender tritt Debatte los – nun wird er nachgeholt
Anfang Juli hat die Humboldt-Universität einen Vortrag über Geschlecht und Gender abgesagt – und damit eine hitzige Debatte losgetreten. Nun wird er nachgeholt.
Das Wichtigste in Kürze
- Anfang Juni wurde ein Vortrag über Gender an der Humboldt-Universität abgesagt.
- Am heutigen Freitagabend soll das Referat nachgeholt werden.
- Die Diskussion um Geschlecht, Identität, Wissenschaft und Freiheit wurde angeheizt.
Die Streichung eines Vortrags über Geschlecht und Gender an der Berliner Humboldt-Universität hat Anfang Juli eine hitzige Debatte ausgelöst. Am heutigen Freitagabend soll der Vortrag nachgeholt werden. Anschliessend plant die Uni eine Diskussion unter anderem mit Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger.
In der Kontroverse geht es um Geschlecht, Gender und Identität, um Wissenschaft und Freiheit, um Vorwürfe der Ideologie und Ignoranz. Beteiligte auf allen Seiten fühlen sich verletzt oder eingeschüchtert. Aber der Streit geht weit über die persönliche Ebene hinaus - und ist ziemlich unübersichtlich.
Der abgesagte Vortrag über Geschlecht und Gender
Der Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht war für die Lange Nacht der Wissenschaften an der Humboldt-Universität geplant. Er lief unter dem Namen «Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht, Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt». Nach einem Protestaufruf des «Arbeitskreises kritischer Jurist*innen» sagte die Uni die Präsentation aus Sicherheitsgründen ab.
Vollbrecht hielt sie stattdessen auf YouTube. In der «Zeit» beschrieb sie ihre zentrale These: «Das biologische Geschlecht des Menschen ist binär, es gibt männliche und es gibt weibliche Menschen. Wir werden männlich oder weiblich geboren und behalten unsere geschlechtliche Zugehörigkeit bis zum Ende des Lebens.»
Die Vortragende
Die 32-jährige Doktorandin wurde Anfang Juni als Co-Autorin eines Beitrags in der «Welt» bekannt. Die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zielt «darauf ab, den Forderungen von Trans-Lobbygruppen Gehör zu verschaffen. Denen zufolge könne man das biologische Geschlecht wechseln».
Das sei eine «bedrohliche Entwicklung»: «Es kann nicht angehen, dass eine kleine Anzahl von Aktivisten mit ihrer 'woken' Trans-Ideologie den ÖRR unterwandert.» Dies hiess es im Text.
Die Kritik
Der «Welt»-Beitrag löste heftige Reaktionen aus, die nun bei der Debatte über Vollbrechts Vortrag eine Rolle spielen. Ausführlich legt dies eine Stellungnahme der HU-Studierendenvertretung dar, des sogenannten Referent*innenRats. Dieser beklagt die Diskriminierung von «trans*, inter* und *nichtbinären Personen (kurz TIN*)» und nennt Vollbrecht eine «offen TIN*-feindliche Person».
Vollbrecht solidarisiere sich mit «einer Bewegung, welche die Existenz von TIN*-Personen leugnet». Sie stehe den «Trans Exclusionary Feminists (TERFS)» nahe, die sich gegen den Zugang von Transpersonen zu Räumen für Frauen wenden. Vollbrecht sagte dazu T-Online: «Wenn ich als Frau nicht will, dass mir in der Sammelumkleide ein Individuum mit Penis begegnet, ist das mein gutes Recht.»
Die Kritik an der Kritik
Nach der Absage des Vortrags wurde vor allem die Humboldt-Universität scharf angegriffen. Diese habe der Wissenschaftsfreiheit einen Bärendienst erwiesen, sagte der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, Anfang Juli. «Wissenschaft lebt von Freiheit und Debatte», sagte Wissenschaftsministerin Stark-Watzinger (FDP) der «Bild»-Zeitung. «Das müssen alle aushalten.»
Ein Kommentar der «Welt» sprach von einem «krassen Fall von Cancel Culture». Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» schrieb: «Es ist die Haus- und Hofideologie der Universitäten, die in Berlin nach aussen getreten ist: Geschlecht ist nicht mehr als ein soziales Konstrukt.»
Meinungsfrei oder mundtot?
Vollbrecht selbst äusserte Verständnis für Sicherheitsbedenken der Uni, schrieb aber in der «Zeit» auch: «Biologen, die versuchen, über Zweigeschlechtlichkeit aufzuklären, (werden) inzwischen offen und regelmässig angefeindet. Die Frage nach Geschlecht und die biologische Zweigeschlechtlichkeit ist längst zu einem Kriegsschauplatz des Kulturkampfs geworden.» Die Biologin beruft sich auf rein wissenschaftliche Erkenntnisse.
Das tun aber auch ihre Kritiker. So schreibt der Referent*innenRat: «Die Wissenschaftsfreiheit ist kein Mantel für die Verbreitung von menschenverachtenden Ideologien. Sie ist nicht gegen Akzeptanz wissenschaftlicher Erkenntnisse gerichteter Propaganda. Die Erde ist keine Scheibe, die Evolution ist kein Verschwörungsmythos und die Unterschiedlichkeit von Menschen hat mehr als zwei Seiten.»