Weihnacht ohne Christmette? Kirchen in der Zwickmühle

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Deutschland,

Je näher der Termin rückt, desto mehr Weihnachtsgottesdienste werden gestrichen. Einzelne Politiker fordern eine generelle Absage. Doch das lehnen die Kirchen ab - auch als Lehre aus dem Lockdown im Frühjahr.

Hell erstrahlt der Dom zur Mitternachtsmette am Heiligabend. Je näher der Termin rückt, desto mehr Weihnachtsgottesdienste werden gestrichen. Foto: Jörg Carstensen/dpa
Hell erstrahlt der Dom zur Mitternachtsmette am Heiligabend. Je näher der Termin rückt, desto mehr Weihnachtsgottesdienste werden gestrichen. Foto: Jörg Carstensen/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Das Ruhrgebiet ist nicht gerade als Hochburg der katholischen Kirche bekannt.

Doch vor ein paar Wochen bildete sich vor der Klosterkirche in Oberhausen eine Warteschlange: Gemeindemitglieder standen an, um Platzkarten für die Heiligabend-Messen zu ergattern.

Gerade in der Corona-Zeit verspüren offenbar viele den Wunsch, am 24. Dezember die altbekannten Worte zu hören: «Es begab sich aber zu der Zeit...». Doch mittlerweile sind alle Präsenzgottesdienste in der Pfarrei abgesagt, denn Oberhausen hat die meisten Neuinfektionen in ganz Nordrhein-Westfalen.

So wie der Klosterkirche geht es derzeit vielen Gemeinden in ganz Deutschland, egal ob evangelisch oder katholisch. Sie haben sich teils wochenlang darauf vorbereitet, die Weihnachtsgottesdienste unter Einhaltung aller Hygieneregeln abzuhalten, und jetzt ist es vergebens. So werden zum Beispiel in ganz Nordrhein-Westfalen praktisch keine evangelischen Präsenzgottesdienste stattfinden. Zu gefährlich, sagt die Kirchenleitung.

Das besonders christlich geprägte Bayern muss auf spätabendliche Christmetten oder Mitternachtsmessen verzichten: Ab 21.00 Uhr gilt im Freistaat pandemiebedingt eine verschärfte Ausgangsbeschränkung, die von den Behörden als «Ausgangssperre» bezeichnet wird. Raus darf nur noch, wer einen wirklich triftigen Grund hat wie einen medizinischen Notfall.

Die Kirchen befinden sich in der Frage der Präsenzgottesdienste in einer Zwickmühle. Denn nach dem ersten Corona-Lockdown im Frühjahr war ihnen vorgeworfen worden, ihren Dienst viel zu bereitwillig eingestellt zu haben. Damit hätten sie die Gläubigen ausgerechnet in einer Krisenzeit im Stich gelassen.

Dieser Vorwurf hat viele engagierte Christen hart getroffen. Auch deshalb sind die Kirchen entschlossen, es diesmal besser zu machen. Doch nun sehen sie sich umgekehrt mit dem Vorwurf konfrontiert, durch ihre Aktivität die Gesundheit der Bevölkerung zu gefährden. Kinder dürfen seit Wochen nicht zum Training auf den Fussballplatz, aber Gottesdienste in Kirchen sollen vertretbar sein? Das ergibt für viele keinen Sinn.

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur ergab, dass jeder zweite Bundesbürger angesichts der hohen Infektionszahlen für ein Verbot der Weihnachtsgottesdienste eintritt. Ob man selbst gläubig ist oder nicht, spielt dabei kaum eine Rolle. Die Bereitschaft zum Besuch von Weihnachtsgottesdiensten ist der Umfrage zufolge gering: Nicht mehr als sechs Prozent wollen dorthin gehen.

NRW-Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) hat die Kirchen aufgefordert, deutschlandweit alle Präsenzgottesdienste abzusagen. Die «völlig unabsehbare Entwicklung der Pandemie und die Nöte auf den Intensivstationen in vielen Teilen Deutschlands» machten dies unausweichlich.

Die Verbandschefin der Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst, Ute Teichert, verlangt gar ein Verbot: «Weil wir wissen, wie leicht sich das Virus gerade bei Gottesdiensten übertragen kann, dürfen wir zu Weihnachten angesichts der hohen Infektionszahlen kein zusätzliches Risiko eingehen», sagte sie den Funke-Zeitungen.

Selbst wenn die Gläubigen in der Kirche weit auseinander sitzen und Mundschutz tragen: Anschliessend wird man sicherlich noch eine Zeit lang in kleinen Gruppen zusammenstehen und sich «Frohe Weihnachten» wünschen. Stamp befürchtet sogar Umarmungen - an Weihnachten wird man schnell ein wenig emotional.

Und es gibt noch ein Argument: Gerade unter den Älteren und damit am meisten Gefährdeten dürfte es noch Gläubige geben, die ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie an Weihnachten nicht in die Kirche gehen. Eine Absage würde ihnen die Entscheidung abnehmen. Die katholische Kirche hält allerdings dagegen, dass die sogenannte Sonntagspflicht zum Messebesuch schon zu Beginn der Corona-Krise ausgesetzt worden sei.

Die Kirchen verweisen darauf, dass die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln bei den Gottesdiensten ausdrücklich gelobt habe. Die Akademie sehe denn auch keine Notwendigkeit für weitere Einschränkungen an Weihnachten. «Ich glaube, dass die Hygienekonzepte, die gemacht worden sind, die vielen Alternativen und vor allem der Appell an die Verantwortung jedes einzelnen ausreichen werden, um unkontrollierte Zusammenkünfte zu verhindern», versichert der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, der Deutschen Presse-Agentur.

Der Kirchenhistoriker, Bestsellerautor und Leibnizpreisträger Hubert Wolf wirft die Frage auf, ob die Fokussierung auf Gottesdienste wirklich noch zeitgemäss ist - gerade angesichts der radikalen Veränderungen, die Corona bewirkt hat. «Von echter Kreativität, tatsächlich einmal «Stille Nacht» zu feiern, ist - von rühmlichen Ausnahmen abgesehen - nichts zu spüren», sagt der Münsteraner Professor im «Kölner Stadt-Anzeiger» über die katholische Kirche.

Wobei es trotz aller Streichungen schon noch manch alternatives Angebot gibt. So will sich der evangelische Pastor Ulf Werner aus Hamburg an Heiligabend im Talar auf sein Lastenfahrrad schwingen und Weihnachten zu den Menschen bringen. Begleitet wird er von Mitgliedern des Gemeindechors, verkleidet als Rentiere.

«Ich werde beispielsweise sechs Kurzandachten in den verschiedenen Innenhöfen einer grossen Seniorenwohnanlage halten, die Bewohner können vom Balkon aus teilnehmen, so ist durch die grösseren Abstände noch mehr Sicherheit gewahrt», erzählt er. In düsteren Zeiten wolle er «etwas Hoffnungsleuchten verbreiten». Der Name der Aktion: «Klingel Bells».

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