Weniger Immobilien per Zwangsversteigerung unterm Hammer
Seit einem Jahrzehnt boomt der Immobilienmarkt. Die hohe Nachfrage nach Wohnungen hat die Zahl der Zwangsversteigerungen immer weiter sinken lassen. Dreht sich nun mit der Konjunktur die Lage?
Das Wichtigste in Kürze
- In Deutschland sind erneut weniger Immobilien per Zwangsversteigerung unter den Hammer gekommen - dank der weiter hohen Nachfrage nach «Betongold».
An den Amtsgerichten wurden 2019 insgesamt 17.614 Immobilien mit Verkehrswerten von 3,44 Milliarden Euro aufgerufen, wie aus Recherchen des Ratinger Fachverlags Argetra hervorgeht. Im Jahr zuvor waren es noch 21.600 Häuser, Wohnungen oder Grundstücke im Volumen von 3,85 Milliarden Euro.
Dabei handele es sich allerdings nur um die Hälfte der ursprünglich eröffneten Zwangsversteigerungsverfahren an den Amtsgerichten. In durchschnittlich jedem zweiten Fall komme es vor der drohenden Versteigerung im Gerichtssaal doch noch zu einem Verkauf durch den Immobilieneigentümer unter Mitwirkung der kreditgebenden Bank.
Bereits seit gut zehn Jahren hat den Angaben zufolge die Zahl der Zwangsversteigerungen in Deutschland abgenommen. Der bisherige Höhepunkt wird im Jahr 2005 mit rund 92.500 Terminen gesehen. Damals gab es aber auch noch viele Folgetermine, weil eine Immobilie nicht im ersten Anlauf zum Mindestgebot wegging. Die Zahl der Folgetermine habe stark abgenommen. Die Nachfrage beschere kurze Verfahren.
Die Zwangsversteigerungen konzentrierten sich 2019 regional betrachtet in der Mitte Deutschlands durchgehend von West nach Ost. In der Relation pro 100.000 Haushalte sei die Zahl der anberaumten Zwangsversteigerungstermine zum Beispiel in Sachsen-Anhalt (89) trotz eines Rückgangs von 15 Prozent noch immer 3,5 Mal so hoch wie in Bayern (24). Durchschnittlich waren 2019 laut Argetra 43 (Vorjahr 52) von 100.000 Haushalte von den Zwangsversteigerungen betroffen.
Am häufigsten kamen wieder Wohnimmobilien unter den Hammer, die 68 Prozent der Zwangsversteigerungen ausmachten. Darunter sind viele Ein- und Zweifamilienhäuser, die für sich genommen 45 Prozent ausmachen. Um Eigentumswohnungen ging es bei 23 Prozent der Termine. Die übrigen 32 Prozent entfielen auf Gewerbeobjekte und Mehrfamilienhäuser sowie Grundstücke und Garagen, wie aus Daten des Fachverlags hervorgeht.
Argetra-Geschäftsführer Axel Mohr erwartet angesichts der Stellenstreichungen insbesondere in der Autoindustrie einen Anstieg der Zwangsversteigerungen 2020/21. «Es fallen viele gut bezahlte Jobs weg», sagte er. Das treffe auch Immobilieneigentümer, die einen Kredit abbezahlen müssten. Das Coronavirus sieht er als zusätzlichen Faktor, wenn Unternehmen durch fehlende Zulieferteile in grösserem Ausmass Kurzarbeit oder sogar Arbeitsplatzabbau angehen müssten. Müssen nun künftig viele Wohnungsbesitzer verkaufen?
Stefan Mitropoulos, Ökonom bei der Landesbank Helaba, erwartet keinen Crash am Immobilienmarkt, auch wenn sich die Konjunktur weiter eintrübt. «Eher eine Normalisierung oder Abschwächung der Wachstumsraten. Die heisseste Phase am Immobilienmarkt könnte vorbei sein.» Historisch gesehen seien alle Immobilienzyklen in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten mit einer Rezession zu Ende gegangenen, meint er. Einzelhandelsimmobilien hingen vor allem am Konsum, Büros am Arbeitsmarkt und Wohnungen an positiven Einkommenserwartungen. «Wer wirtschaftlich schwierige Zeiten erwartet, verschuldet sich nicht mit Hunderttausenden Euro.»
Nach zehn Jahren Boom und hochgeschossenen Immobilienpreisen waren Sorgen vor einer Blase am deutschen Wohnungsmarkt gestiegen. Die Bundesbank sprach zuletzt von «markanten Preisübertreibungen» in den Städten. Dort seien die Wohnungspreise 15 bis 30 Prozent höher als ökonomisch und soziodemografisch gerechtfertigt.
Der Anstieg der Immobilienpreise und Mieten hat sich 2019 allenfalls verlangsamt. So sind die Preise für Wohneigentum laut dem Verband deutscher Pfandbriefbanken um 6,75 Prozent geklettert, nach 7,75 Prozent im Vorjahr. Auch die Mieten sind laut Bundesbank weniger stark gestiegen, zumindest in Städten. Auch wenn Immobilienspezialisten wie Empirica immer wieder vor einer Überhitzung warnen: Der Mangel an Wohnraum in den Metropolen bleibt und auch eine gefährliche Kreditschwemme ist nicht zu sehen.
Mit Handelskonflikten, Jobverlusten in der Autoindustrie und nun den wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus sei ein wirtschaftlich schwaches erstes Halbjahr zu erwarten, meint Ökonom Mitropoulos. «Am massgeblichen Treiber des Immobilienmarktes, den niedrigen Zinsen, ändert sich aber nichts, der Arbeitsmarkt bleibt robust und auch der Trend zum Wohnen in Ballungszentren scheint intakt.»