Wie sicher sind die Corona-Impfstoffe?
Schon bald sollen auch in Deutschland die ersten Impfstoffe gegen Corona zugelassen werden. Viele Menschen stehen damit vor der Frage: Soll ich mich impfen lassen - oder ist das Risiko einer neuartigen Impfung zu hoch?
Das Wichtigste in Kürze
- Bald dürfte es mit dem Impfen gegen Corona losgehen.
Hersteller haben bereits für zwei Präparate Zulassungsanträge in der EU gestellt, eine Freigabe könnte es binnen Wochen geben. Angesichts des rasanten Entwicklungstempos bei den Vakzinen haben manche Menschen ein mulmiges Gefühl.
Sind diese Impfstoffe wirklich sicher? Sind mögliche Nebenwirkungen gut genug untersucht? Ist es nicht vielleicht vernünftiger, eine Corona-Infektion in Kauf zu nehmen, als sich den Risiken eines neuen Impfstoffs auszusetzen?
Unberechtigt sind diese Fragen sicher nicht. Zumal es sich bei den beiden Impfstoff-Kandidaten - einer von der US-Firma Moderna und einer von dem Mainzer Unternehmen Biontech in Zusammenarbeit mit dem US-Pharmariesen Pfizer - um sogenannte mRNA-Impfstoffe handelt, die auf einer noch neuen Impfstoff-Technologie beruhen.
Was ist an der Impfstoff-Variante neu?
Weltweit gibt es bislang keinen einzigen zugelassen Impfstoff, der auf diese Weise hergestellt wird und wirkt. Der grundlegende Unterschied dieser neuartigen Impfstoffe zu etablierten Vakzinen: Sie enthalten keine abgeschwächten oder abgetöteten Viren, sondern lediglich eine Bauanleitung für einen Bestandteil des Covid-19-Erregers. Die Anleitung wird in Form eines sogenannten mRNA-Moleküls in den Körper geimpft, wo dann die menschlichen Zellen selbst ein Eiweiss des Virus herstellen. Im Falle von Sars-CoV-2 ist es das sogenannte Spike-Protein auf der Oberfläche des Virus. Es regt das menschliche Immunsystem zur Bildung von Abwehrstoffen an.
Wie sicher ist die mRNA-Technik?
Mit Blick auf die Sicherheit der mRNA-Impfstoffe ist ein weiterer Punkt wichtig: Obwohl bisher keiner dieser Impfstoffe für Menschen zugelassen ist, wurde die Technologie nicht erst im Zuge der Corona-Pandemie entwickelt, einige Erfahrungen damit liegen bereits vor. Die Idee für diese Art von Impfstoffen stammt aus der immunologischen und infektiologischen Grundlagenforschung und aus der Krebsforschung. Ziel dabei ist es, den Körper zu einem Angriff auf Tumorzellen zu veranlassen, auch in diesem Bereich laufen bereits klinische Studien. «Die Pandemie hat die Technologie nun enorm beflügelt», sagt Christian Bogdan, Direktor des Instituts für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene an der Uniklinik Erlangen
mRNA-Vakzine lösen eine sehr spezifische Immunantwort aus. Das kann von Vorteil sein, weil womöglich unerwünschte Reaktionen verhindert werden. Andererseits besteht die Gefahr, dass diese sehr spezifische Immunantwort nicht ausreichend schützt. Ebenso unklar ist, was passiert, wenn das Coronavirus mutiert, sich also etwa das Spike-Protein des Erregers verändert - wirkt dann der Impfstoff noch? Um diese Fragen sicher beantworten zu könne, brauche es eine längere Nachbeobachtungszeit. «Das ist für die Impfstoff-Forschung aber keine neue Herausforderung.»
Welche Nebenwirkungen sind bekannt?
Erste Daten der fortgeschrittenen klinischen Prüfung legen nahe, dass die Impfstoffe eine hohe Wirksamkeit haben und im Allgemeinen gut vertragen werden. Als Nebenwirkungen traten bei einem Teil der geimpften Probanden nach Angaben der Unternehmen Müdigkeit, Kopf- und Gelenkschmerzen sowie Rötungen an der Einstichstelle auf. Vergleichbare Reaktionen sind von anderen Impfstoffen bekannt und auch ein Zeichen dafür, dass der Impfstoff macht, was er soll: Das Immunsystem auf Trab bringen.
Was bisher fehlt sind Informationen über seltene, möglicherweise auch schwere Nebenwirkungen, da diese erst nach Impfung vieler Menschen und längerer Beobachtungszeit offensichtlich werden. «Es gibt deshalb ein Restrisiko», sagt Bogdan. «Wie hoch das ist, muss in den kommenden Monaten und Jahren geprüft werden.» Um seltene Nebenwirkungen zu erfassen, sei es üblich, klinische Studien auch nach der Zulassung fortzuführen.
Wer sollte sich impfen lassen?
Grundsätzlich basiere die Entscheidung für oder gegen eine Impfung immer auf einer Nutzen-Risiko-Abwägung, so der Experte, der auch Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) ist. Er macht folgende Beispielrechnung auf: Wenn ein alter Mensch bei einer Corona-Infektion mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent stirbt, «und gleichzeitig das Risiko, eine schwere Nebenwirkung der Impfung zu bekommen, 1:50 000 oder noch weniger beträgt, würde ich dieses Risiko in Kauf nehmen.»
Kinder hingegen würde Bogdan nicht impfen, weil ihr Risiko an Covid-19 zu sterben, gegen Null gehe und sie gleichzeitig noch ein sehr langes Leben vor sich hätten. «Das alles sind völlig legitime ethische Überlegungen», betont Bogdan. Sie spiegeln sich auch in den Impfempfehlungen der Stiko wider, nach denen zunächst nur Risikogruppen geimpft werden sollen. «Damit erreichen wir, was wir wollen: den grösstmöglichen Nutzen für die gesamte Gesellschaft erreichen.»
Gibt es besodnere Gefahren für Risikogruppen?
Aber sind nicht gerade die Risikogruppen - also ältere Menschen oder solche mit einer Vorerkrankung - bei einer Impfung besonderen Gefahren ausgesetzt? Alle Risiken könne man in diesem Stadium der Impfstoffentwicklung nicht ausschliessen, sagt Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität München (TUM) und am Helmholtz Zentrum München. Allerdings seien bereits einige besondere Patientengruppen in den klinischen Studien berücksichtigt worden.
Das Unternehmen Moderna etwa testete seinen Impfstoff auch an Menschen über 65 Jahren, solchen mit Diabetes, schwerem Übergewicht oder einer Herzerkrankung. Sicherheitsbedenken sind nach Angaben des Unternehmens nicht aufgetreten. «Das Risiko einer seltenen, schweren Nebenwirkung ist nicht gleich Null, aber es ist im Vergleich zu anderen Risiken, die wir täglich in Kauf nehmen, etwa beim Autofahren, doch sehr gering», sagt Protzer.
Ist eine Veränderung des Erbgutes möglich?
Sorgen, dass speziell die mRNA-Impfstoffe besondere Sicherheitsrisiken mit sich bringen und etwa das menschliche Erbgut verändern, halten Experten für unbegründet. «Beim Menschen befindet sich das Genom in Form von DNA im Zellkern», heisst es etwa beim Paul-Ehrlich-Institut, das für die Sicherheit von Impfstoffen zuständig ist. «Eine Integration von RNA in DNA ist unter anderem aufgrund der unterschiedlichen chemischen Struktur nicht möglich.»
Ein Besonderheit der RNA ist, dass sie chemisch sehr labil ist. «Wenn die mRNA in die Zellen gelangt, wird sie sehr schnell wieder abgebaut», erläutert Protzer. Eine nachhaltige Interaktion mit der menschlichen Zelle ist allein aus diesem Grund unwahrscheinlich. Um die Haltbarkeit zu erhöhen, wird die Impf-mRNA in einer Art Schutzhülle verpackt. «Was diese Zusatzstoffe bewirken, müssen wir beobachten», sagt Protzer. «Man geht von einer guten Verträglichkeit aus, aber da fehlen noch Langzeit-Erfahrungen.»
Kann jemand, der geimpft ist, andere noch anstecken?
Möglich, aber weniger wahrscheinlich. «Wir gehen nicht davon aus, dass die Impfung komplett steril schützt», sagt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI). Das ist aber laut Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), normal: «Sterile Impfungen - das gibt's praktisch gar nicht.» Laut Cichutek kann man sich auch nach einer Impfung noch anstecken, die Aufnahme und Weitergabe von Viren wird aber deutlich reduziert. Die unteren Atemwege sind dann wohl nicht mehr betroffen. Es gebe vielleicht noch leichte Symptome, aber keine schweren Verläufe mehr. Den bisherigen Analysen zufolge schützt BNT162b2 mit 95-prozentiger Wirkung vor einer Covid-19-Erkrankung. Der Impfschutz dürfte Cichutek «relativ lange anhalten». Daten würden noch folgen.
Wann tritt der Impfschutz ein?
Eine erste Impfung bringt laut Cichutek eine Grundimmunisierung. Dann brauche man ein Zeitfenster von drei bis vier Wochen. Danach erfolge eine zweite Impfung. Voraussichtlich zwei bis drei Wochen nach der Zweitimpfung sei voller Schutz aufgebaut. Menschen mit Vorerkrankungen können sich laut Wieler ohne Bedenken impfen lassen.
Wer wird zuerst geimpft?
Risikogruppen, also Ältere und Kranke, sowie Beschäftigte im Gesundheitsdienst und in zentralen Bereichen wie der Polizei. Das hatte der Deutschen Ethikrat, die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina und die Ständigen Impfkommission am RKI empfohlen, und diese Gruppen hatte die Koalition in einem Gesetz bereits genannt. Doch das ist noch ungenau. Laut SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach können in den ersten drei Monaten nur bis zu vier Prozent der Bevölkerung geimpft werden. Senioren, chronisch Kranke und medizinisches Personal machten aber schon 30 Prozent aus. Die Bundesregierung will Regeln per Verordnung aufstellen. Eine feinere Bestimmung der Priorisierung wollen die Wissenschaftsorganisationen bis Jahresende vornehmen.
Wo kann man sich impfen lassen?
In den Ländern werden Zentren eingerichtet, die Impfungen in einer Region für die ersten Monate bündeln sollen. In Hessen werden zum Beispiel je Zentrum mindestens 1000 Impfungen pro Tag angepeilt, geöffnet sieben Tage die Woche. In der Düsseldorfer Fussball-Arena sollen auf zwei Etagen bis zu 2400 Impfungen am Tag möglich sein. Gebraucht wird überall auch extra Personal. An Zentren angedockt werden sollen mobile Teams, die etwa in Altenheime gehen. Dabei kann sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn pragmatische Lösungen vorstellen: Wenn ein Team mal vor Ort ist, könnten doch auch gleich alle Bewohner auf Wunsch geimpft werden, selbst wenn ihre Altersgruppe formal noch nicht dran ist.
Wie sollen Impfungen ablaufen?
Für Impfzentren gibt es jeweils eigene Konzepte, die von der An- und Abfahrt bis zur Gestaltung der Räume reichen. Um Warteschlangen und Gedrängel zu vermeiden, sollen Termine generell vorab online oder per Telefon gebucht werden können. Experten empfehlen für Zentren meist Impfstrassen als Einbahnstrassen, um Patienten von Station zu Station zu lotsen - von der Anmeldung, wo die Impfberechtigung geprüft wird und man einen Aufklärungsbogen bekommen kann, bis zu einer Zone, wo man nach dem Impfen noch etwas bleiben kann. Gebraucht werden auch Wartebereiche, Räume für Arztgespräche und die eigentliche Impfung. Die Planer schauen dann, wie lange ein normaler Durchlauf dauert - in Husum in Schleswig-Holstein sind es zum Beispiel etwa 45 Minuten.
Was kostet die Impfung?
Die Impfung samt Beratung soll für alle Bürger kostenlos sein. In der ersten Phase mit noch relativ wenig verfügbaren Dosen muss man aber - nach dann geltender Impf-Reihenfolge - seine «Anspruchsberechtigung» nachweisen. Beim Alter soll das einfach mit Personalausweis oder Pass gehen, wie ein Verordnungsentwurf des Bundes vorsieht. Bei Personal im Gesundheitswesen, in der Pflege und der «kritischen Infrastruktur» wie der Polizei sollen es Arbeitgeber-Bescheinigungen tun. Wenn Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen an die Reihe kommen, sollen sie ein ärztliches Attest vorlegen müssen. Kennt einen der Arzt, soll man sich das auch telefonisch bestellen und zuschicken lassen können.
Wie kommen Hausärzte beim Impfen ins Spiel?
Nach dem Start in zentralen Einrichtungen sollen die Corona-Impfungen dezentral weitergehen - wie es Praxen gerade auch wieder mit mehr als 20 Millionen Grippeimpfungen tun. Wann umgeschaltet werden kann, ist offen, vielleicht im Sommer. Voraussetzung sind mehr Impfstoffe für den Masseneinsatz, die normal in Apotheken und Praxen zu lagern sind. Wie sich die Impfbereitschaft nach ersten Eindrücken entwickelt, muss sich dann zeigen. Die Bundesregierung plant Info-Kampagnen fürs Impfen und will erklärtermassen auf breites Vertrauen achtgeben. Dazu gehört das wiederholte Versprechen: Es geht um ein Impfangebot, keine Impfpflicht. Spahn hat im Bundestag sein Wort darauf gegeben.