Das grosse Impfstoff-Rennen: Staaten kaufen Mittel auf Vorrat
Weltweit laufen rund 170 Impfstoffprojekte. Um die Vorsorge zu sichern, schliessen die Staaten verschiedenen Millionen-Verträge ab. Die Börse freut sich.
Das Wichtigste in Kürze
- Weltweit wird unter Hochdruck an einem Corona-Impfstoff geforscht.
- Staaten schliessen bereits mehrere Millionen-Verträgt ab, um ihre Vorsorge zu sichern.
- An der Börse steigt die Hoffnung auf lukrative Geschäfte.
Während Pharmakonzerne weltweit unter Hochdruck an Corona-Impfstoffen forschen, ist auch das finanzielle Rennen um das Mittel in vollem Gang: Staaten kaufen Millionen Impfstoffdosen, um ihre Versorgung zu sichern, sobald ein Impfstoff zugelassen ist. Sie schliessen massig Verträge mit Pharma- und Biotechfirmen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit für die Länder, einen Treffer zu landen.
Denn die Zuversicht, dass ein Impfstoff bald kommt, wächst: Klaus Cichutek, Präsident des deutschen Paul-Ehrlich-Instituts, erwartet erste Zulassungen Ende dieses Jahres oder Anfang 2021.
Auch die Schweiz schliesst Verträge ab
In der Schweiz hat der Bund vor kurzem daher mit der US-Biotech-Firma Moderna einen Vertrag abgeschlossen. Dieser geht über die Lieferung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus. Demnach bezieht der Staat 4,5 Millionen Dosen des Impfstoffs von der Firma.
Bei Modernas Impfstoffkandidat läuft eine entscheidende Wirksamkeitsstudie der Phase III mit rund 30'000 Teilnehmern. Getestet wird in 30 US-Bundesstaaten. Mit dem Schritt will der Bund der Bevölkerung den schnellen Zugriff auf eine sichere und wirksame Covid-19-Impfung gewährleisten. Parallel zu dem Vertrag ist die Schweiz mit weiteren Impfstoff-Unternehmen im Gespräch.
USA soll für Impfstoff-Produktion bereit sein
Auch die USA haben eine Vereinbarung mit dem Biotechkonzern zum Erwerb von 100 Millionen Dosen eines potenziellen Coronavirus-Impfstoffs geschlossen.
«Wir sind auf dem besten Weg, schnell 100 Millionen Dosen zu produzieren. Dies sobald der Impfstoff zugelassen ist, und kurz danach bis zu 500 Millionen Dosen». Das hatte US-Präsident Donald Trump gesagt. In Deutschland ist derweil Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor kurzem aktiv geworden.
Weltweit laufen 170 Impfstoffprojekte
Rund 170 Impfstoffprojekte laufen laut Weltgesundheitsorganisation derzeit. Doch nur gut eine Handvoll Firmen befinden sich mit ihren Forschungen in Phase-III-Studien. Dies ist die letzte Stufe vor einer möglichen Zulassung. Darin muss sich zeigen, ob die Mittel wirklich vor einer Infektion schützen.
Weit fortgeschritten sind nebst Moderna, die britisch-schwedische AstraZeneca und die Mainzer Firma Biontech. Mit dem US-Kooperationspartner Pfizer will das deutsche Unternehmen bei positiven Ergebnissen schon im Oktober einen Zulassungsantrag für seinen Corona-Impfstoff stellen.
Noch aber sind die Projekte mit viel Unsicherheit behaftet. «Lackmustest sind die Phase-III-Studien», sagt Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung beim deutschen Pharmaverband vfa.
Markt für Impfstoffe erhält einen starken Schub
Mit dem Kampf gegen Corona erhält der 30 Milliarden Dollar schwere Markt für Impfstoffe einen Schub. Kein Land investiert so viel wie die USA:
Sie gaben nämlich auch AstraZeneca eine milliardenschwere Finanzspritze. Danach stellten sie den Konkurrenten Sanofi und GlaxoSmithKline bis zu 2,1 Milliarden Dollar zur Corona-Forschung bereit. Und orderten beim Duo Biontech/Pfizer für fast zwei Milliarden Dollar Impfstoffdosen – Nachkaufrecht inklusive.
Deutschland hat siech 54 Millionen Dosen gesichert
Deutschland ist in Abstimmung mit europäischen Ländern auf den Markt getreten. Die EU-Kommission finalisierte jüngst den Kauf von 300 Millionen Dosen bei AstraZeneca. Dies nach Vorverhandlungen einer Impfstoffallianz mit Italien, Frankreich und den Niederlanden. Das deutsche Bundesgesundheitsministerium hat sich 54 Millionen Dosen des Impfstoffs gesichert, hiess es am Dienstag aus Regierungskreisen.
Bedarf hängt stark von Verabreichungsmenge ab
Der Bedarf in der EU ist gross: Benötigt werden geschätzt 300 bis 600 Millionen Impfdosen. Je nachdem, ob das künftige Mittel ein- oder zweimal verabreicht werden muss.
Die Kommission sicherte sich daher auch bis zu 405 Millionen Dosen eines Corona-Impfstoffs der Tübinger Biotechfirma Curevac. Ausserdem schloss sie weitere Vorgespräche mit Sanofi/GSK, dem US-Konzern Johnson & Johnson und Moderna ab.
Im Erfolgsfall sollen alle EU-Staaten profitieren. Die Kommission greift zur Finanzierung auf ein Corona-Soforthilfeinstrument mit 2,7 Milliarden Euro Volumen zurück.
«Wir investieren in Unternehmen, die auf unterschiedliche Technologien setzen. Damit können wir unsere Chancen auf Impfstoffe erhöhen, die sicher und wirksam sind». Das erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Lukrative Geschäft rufen Hoffnung an Börse hervor
Für Pharmakonzerne geht es bei den Corona-Impfstoffen um viel Geld, wie der Vertrag von Biontech zeigt. Die USA zahlen für 100 Millionen Einheiten 1,95 Milliarden Dollar, also knapp 20 Dollar je Dose. Die Spanne der Preise in ähnlichen Verträgen geht aber weit auseinander. An der Börse ist die Hoffnung auf lukrative Geschäfte schon gross.
Zugleich nehmen die Unternehmen viele Risiken in Kauf. So ist der Zeitplan für Zulassungen bis Anfang 2021 ehrgeizig. Noch vor wenigen Jahren wurden für Impfstoff-Entwicklungen 15 bis 20 Jahre veranschlagt. Nach wie vor muss die Sicherheit des Wirkstoffes in Studien mit Tausenden Freiwilligen bestätigt werden.
Impfstoffentwicklung wird zum Renne mit der Konkurrenz
Die Entwicklung kostet Hunderte Millionen Euro, schätzte Olaf Tölke, Pharmaexperte bei der Rating-Agentur Scope. «Die Firmen tragen das Risiko, im Rennen mit der Konkurrenz zu spät zu kommen.» Zudem seien nur rund zehn Prozent der Impfstoffe, die in klinische Studien gehen, erfolgreich, erklärt vfa-Forschungsexperte Throm.
Damit nicht genug: Parallel zur Impfstoff-Forschung müssen Firmen ihre Produktion ausbauen, damit im Fall einer Zulassung keine Zeit verloren geht. Einige Arzneifirmen produzieren schon im grossen Stil. Dies Während die Erprobung der Impfstoffe an Freiwilligen läuft.
Dabei besteht die Gefahr, die Ware entsorgen zu müssen, falls Studienergebnisse negativ ausfallen. Und Curevac teilte Mitte Mai mit, dass die Firma schon grosse Wirkstoffmengen für ihren Impfstoffkandidaten hergestellt hat. Die Tests an Freiwilligen hatten da noch gar nicht begonnen.
Nicht alle handhaben den Verkaufspreis gleich
Zudem ist offen, wie teuer die Impfstoffe verkauft werden können. Hersteller wie Johnson & Johnson und AstraZeneca haben angekündigt, zum Selbstkostenpreis zu liefern. Curevac hat indes erklärt, mit einem Covid-19-Impfstoff auch Gewinne für die Eigentümer anzupeilen.
«Wir können das nicht zum Selbstkostenpreis machen. Wir haben Investoren, die seit zehn Jahren Geld in das Unternehmen stecken. Also sollte es eine kleine Rendite für sie geben». Dies sagte Curevac-Finanzchef Pierre Kemula der Zeitung «Financial Times.»
«Die gesamte Weltbevölkerung in einem Jahr zu impfen, schafft man nicht»
Da nicht alle Impfstoffhersteller zeitgleich auf den Markt kommen werden, haben die Unternehmen mehrere Chancen, sich zu beweisen. Auf zwei bis vier Milliarden Dosen Corona-Impfstoff schätzt vfa-Experte Throm die weltweiten Produktionskapazitäten für das Jahr 2021.
Risikogruppen würden wahrscheinlich zuerst geimpft. Kinder, Jugendliche und Schwangere später. «Die gesamte Weltbevölkerung in einem Jahr zu impfen, schafft man ohnehin nicht.»