Forscher: Letztgeborene sind keine Draufgänger
Letztgeborene sind nach neuesten Erkenntnissen nicht risikobereiter und draufgängerischer als ihre älteren Geschwister.
Das Wichtigste in Kürze
- Analyse zeigt keinen Zusammenhang zwischen Geburtenfolge und Risikobereitschaft.
Zu diesem Schluss kommt ein Forscherteam nach umfangreichen Datenanalysen, die keinen Zusammenhang zwischen der Geburtenreihenfolge und der individuellen Risikobereitschaft zeigen, wie das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung am Mittwoch in Berlin berichtete. Die Experten räumten zugleich mit einer vieldiskutierten These auf.
In drei grossen Datenanalysen fahndeten sie nach möglichen Zusammenhängen. «Die These, dass die Dynamik in der Familie, die wiederum durch die Geburtsreihenfolge geprägt sein könnte, die Risikobereitschaft beeinflusst, scheint durchaus intuitiv und plausibel», erklärte Max-Planck-Forscher Ralph Hertwig, Mitautor der Studie. Weder in Umfragen noch in experimentellen Versuchen oder in Stichproben historischer Persönlichkeiten seien jedoch Hinweise für diese These gefunden worden.
Die Forscher werteten Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) in Deutschland und aus der sogenannten Basel-Berlin Risk Study aus, bei der sich Erwachsene experimentellen Verhaltenstests und einer Selbsteinschätzung unterzogen. Zudem recherchierten die Experten die Geburtsreihenfolge von fast 200 historischen Entdeckern und Revolutionären. Doch auch hier fanden sich «keine statistischen Auffälligkeiten», wie Erstautor Tomás Lejarraga berichtete.
Auch die Erstgeborenen Martin Luther, Christoph Kolumbus und die britische Abenteurerin Mary Kingsley zeigen, dass es wohl andere Faktoren als die Geburtsreihenfolge geben muss, die dazu führen, dass Menschen sich für ein risikoreiches Leben entscheiden - so das Fazit der Forscher.
Die These, dass die Geburtsreihenfolge die Persönlichkeit beeinflusst, wurde lange und kontrovers in der Psychologie und darüber hinaus diskutiert. In den 90er Jahren wurde sie besonders prominent in den Arbeiten des Wissenschaftshistorikers und Darwin-Experten Frank Sulloway vertreten. Bei seiner Suche nach den Gründen, warum Menschen politische oder wissenschaftliche Revolutionäre werden, entdeckte er, dass es unter diesen statistisch gesehen mehr Letztgeborene gibt.
Er entwickelte ein Modell der Familiendynamik, nach dem sich die Erstgeborenen der privilegierten Aufmerksamkeit der Eltern sicher sein konnten, wohingegen die jüngeren Geschwister sich erst eine familiäre Nische erkämpfen und dafür Risiken eingehen müssten, was ihre Persönlichkeit präge. Inzwischen wird Sulloways Familiendynamikmodell kritischer gesehen - und jüngste Studien können keinen Zusammenhang zwischen Geburtsreihenfolge und Persönlichkeit im Allgemeinen nachweisen.