Gegen «Wild-West-Manieren» im All: ESA warnt vor Weltraumschrott
Die ESA sucht auf der 9. Europäischen Konferenz zu Weltraummüll in Bonn nach Lösungen für die zunehmende Vermüllung des Alls.

Beim Müll-Machen beschränkt sich der Mensch mittlerweile nicht nur auf den Heimatplaneten – man treibt auch seit ein paar Jahrzehnten munter die Vermüllung des erdnahen Alls voran. Bei der 9. Europäischen Konferenz zu Weltraummüll in Bonn sucht die Europäische Weltraumorganisation (ESA) dieser Tage nach Lösungen für das wachsende Problem.
Unter dem Schlagwort «De-Orbiting» will man vorankommen. «Wir müssen den Orbit sauber halten», so ESA-Chef Josef Aschbacher am Dienstag.
Letztlich hätten in den diversen Erdumlaufbahnen – vulgo Orbits – lange Zeit mehr oder weniger «Wild-West-Manieren» geherrscht, erklärte der Leiter der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft-und Raumfahrt (DLR), Walther Pelzer, vor Journalisten. Das Problem seien in erster Linie «fehlende Regularien».
Daher forciere man nun auch seitens der ESA das Ziel, zu einem Regelwerk zu kommen und dieses in nationales Recht übergehen zu lassen. Ein Beispiel sei die neue europäische Trägerrakete Ariane 6: Hier könne die Oberstufe gezielt aus dem Orbit geholt werden. Das sollten zukünftig alle ins All verschickten Geräte können. Allerdings gebe es diverse Widerstände, denn De-Orbiting berge «immense Kosten», so Pelzer.
Objekte im Erdorbit
Wie gross das Problem schon ist, erläuterte der Leiter für Weltraumsicherheit bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, Holger Krag: So beobachte man aktuell rund 10'000 menschgemachte Objekte über einem Meter Durchmesser in verschiedenen Erdumlaufbahnen sowie weitere rund 40'000 Objekte über zehn Zentimeter.
Dazu kommen geschätzte 1,5 Millionen Teilchen mit über einem Zentimeter Durchmesser und in etwa 130 Mio. über einem Millimeter. Und: Auch um die Kleinstteilchen müsse man sich Sorgen machen, denn sie hätten bereits Erdbeobachtungssatelliten beschädigt. Gerade heute Abend stehe ein Ausweichmanöver eines ESA-Satelliten an, sagte Krag.
Gleichzeitig steigt die Anzahl an Raketenstarts in den vergangenen Jahren stark – Tendenz weiter zunehmend. Geht es so weiter, mache man in ein paar Jahren nur noch Ausweichmanöver und kann keine Raumfahrt mehr betreiben. Krag: «Wir müssen in Technologie investieren und in Regulierungen», um Objekte wieder aus dem Orbit zu bekommen.
Klar sei, dass die ESA keine Regeln erlassen könne. Das müsse die Politik tun, betonte der ESA-Generaldirektor. So habe man sich 2024 eine «Zero Debris Charter» gegeben, die auch die Schweiz unterzeichnet hat. Demnach müssen Objekte fünf Jahre nach Beendigung einer Mission die entsprechende Erdumlaufbahn «mit einer Erfolgswahrscheinlichkeit von mindestens 99 Prozent» verlassen. Diese Charta habe auch bei anderen Raumfahrtagenturen Interesse geweckt, erklärte Aschbacher.
ESA warnt: Weltraummüll gefährdet Astronauten
«Raumfahrtrückstände sind auch eine Gefahr für Astronauten», betonte ESA-Astronaut Thomas Reiter. Die Crew der Internationalen Raumstation (ISS) musste auch schon mehrfach «in Deckung gehen»: Immerhin 35 Müll-Ausweichmanöver gab es bisher.
Die Aussenhülle der ISS sei zwar für einschlagende Objekte mit rund einem Zentimeter Grösse gerüstet, mit Radar und anderen Systemen detektiert man aber erst sich nähernde Teilchen ab einer Grösse von circa zehn Zentimeter. Es gibt also einen nicht unerheblichen «Graubereich». Daher werden überraschende Einschläge mit Druckabfall und Hüllenschäden auch ständig im Orbit in rund 400 Kilometern Höhe trainiert.
Der Fokus auf erdnahen Raum «greift aber zu kurz», zeigte sich Carolin Früh von der Purdue University (USA) überzeugt. Denn auch der «lunare Raum» zwischen Erde und Mond sei zunehmend betroffen. Bis es dort zu Kollisionen kommt, sei nur eine Frage der Zeit, so die Wissenschaftlerin.
Und: In diesem Bereich gebe es gar keine Regulation. «Wir sind hier eigentlich schon im Hintertreffen und dabei, die gleichen Fehler wie im erdnahen Raum zu begehen», so Früh.