Wie Arzneiversuche am Menschen ablaufen

Nau forscht
Nau forscht

Bodensee,

Der Fall Münsterlingen erschüttert die Schweiz: Über Jahrzehnte führte ein Psychiater klinische Versuche durch, ohne dass die Patienten davon wussten.

WEF-Bericht
Ein Arzt misst bei einer Frau den Blutdruck. (Symbolbild) - Pixabay

Das Wichtigste in Kürze

  • Das Humanforschungsgesetz regelt in der Schweiz die Forschung am Menschen strikt.
  • Klinische Versuche mit neuen Arzneimitteln müssen zuvor bewilligt werden.
  • Zudem muss der Hersteller unerwartete Nebenwirkungen melden.

Der Testskandal aus Münsterlingen tönt wie aus einem Gruselfilm. In dem thurgauischen Dorf wurden von 1946 bis 1980 klinische Versuche in der Psychiatrie durchgeführt, ohne dass die Patienten oder ihre Angehörigen davon wussten.

Münsterlingen
In der psychiatrischen Klinik Münsterlingen wurden bis 1980 klinische Versuche an Patientinnen und Patienten durchgeführt, ohne dass diese davon wussten. Auch die Pharmaindustrie war involviert. - Wikimedia/Dominic Venezia

Und das obwohl die Schweiz 1970 Richtlinien für mehr Patientenschutz einführte. Erst 1989 wurde dann die erste Ethikkommission gegründet – im Kanton Thurgau.

Versuche am Menschen heute

Doch wie werden Versuche am Menschen eigentlich heute durchgeführt? Das Humanforschungsgesetz regelt Menschenversuche seit 2014 strikt. So muss jeder klinische Versuch von einer kantonalen Ethikkommission abgesegnet werden.

Sind nicht zugelassene Arzneimittel involviert, muss auch die Schweizerische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde Swissmedic das Vorhaben prüfen. 2017 wurden 213 Gesuche für klinische Versuche mit Arzneimitteln eingereicht – also vier pro Woche.

«Dass ein Gesuch im ersten Anlauf bewilligt wird, gibt es praktisch nicht», sagt Susanne Driessen, Präsidentin von Swissethics, dem Dachverband der Ethikkommissionen. Ebenso selten aber werde ein Gesuch definitiv abgelehnt. Dies geschieht nur, wenn die Studie gravierende wissenschaftliche Mängel aufweist – oder ethisch nicht vertretbar ist. Wenn eine Testsubstanz zum Beispiel zu risikoreich ist.

Ein Risiko gibt es aber immer – vor allem bei Studien, die eine Substanz zum ersten Mal am Menschen testen, sich also in der sogenannten Phase I befinden. Diese Studien schliessen nur sehr wenige Personen ein – am Anfang sind es meist drei bis neun, denen sehr niedrige Dosen verabreicht werden.

Viele Phase-I-Substanzen schaffen Zulassung nicht

Die Dosen werden auf Grund der Erfahrungen aus Tierversuchen, der Toxikologie und Modellen gesetzt. Im Fokus solcher Studien steht die Sicherheit – die höchste Hürde für ein Medikament. «Die überwiegende Mehrheit der Testsubstanzen von Phase-I- Studien schaffen es nicht bis zur Zulassung», sagt Driessen.

Treten während Menschenversuchen unerwartete, schwere Arzneimittelwirkungen auf, müssen diese den Überwachungsstellen gemeldet werden. Dass es zu unerwarteten Todesfällen während des Versuchs kommt, ist enorm selten – aber ebenfalls nicht auszuschliessen.

Arzneimittelversuch
Heute regelt in der Schweiz das Humanforschungsgesetz Arzneimittelversuche. Ein Risiko bleibt aber – gerade wenn eine Substanz zum ersten Mal am Menschen getestet wird. - Pixabay/Fernando Zhiminaicela

Genau dies passierte 2016 in Frankreich: Ein Mann verstarb an einer Testsubstanz und vier weitere trugen schwere neurologische Schäden davon. Ein Bericht legte die Mängel des Versuchs offen: So hatten die Testpersonen zum Beispiel auch noch Dosen bekommen, nachdem der erste Mann hospitalisiert worden war.

«Genau deshalb gelten heute in der Schweiz lange Latenzzeiten», sagt Driessen. Eine neue Substanz wird zuerst nur einem einzigen Patienten verabreicht – der zweite Patient erhält sie versetzt. Doch egal, wie viele Regeln gelten: «100-prozentige Sicherheit erreicht man bei klinischen Versuchen nicht», sagt Driessen. Dies müsse den Testpersonen auch klar gemacht werden.

Noch höhere Anforderungen bei «vulnerablen» Personengruppen

Noch schwieriger sind klinische Versuche aber bei «vulnerablen» Personengruppen, die nicht selber entscheiden können. Dazu gehören Kinder, Demente, bewusstlose Personen auf der Intensivstation – oder eben Menschen mit schweren, psychischen Krankheiten.

«Es wäre unethisch, wenn Menschen mit psychischen Krankheiten nicht von der klinischen Forschung profitieren könnten», sagt Alexander aus der Abteilung Klinische Versuche bei Swissmedic. Denn ohne klinische Versuche keine neuen Arzneimittel.

Klinische Versuche könnten auch bei besonders verletzlichen Personengruppen durchgeführt werden, so Mion, die Anforderungen seien hier aber besonders hoch. So muss beispielsweise das Einverständnis der Angehörigen eingeholt werden.

Swissmedic führt zudem laute Susanne Driessen bei 10 Prozent der klinischen Studien Inspektionen durch. Fehltritte der Forschenden hätten schwere Konsequenzen: Forschende verlieren die Versuchsbewilligung und können mit Bussen, Geldstrafen oder bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden.

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«Nau forscht»

Im Rahmen dieser Serie erscheint jeden Sonntag ein exklusiver Beitrag des Wissenschaftsmagazins «higgs».

Dieser Beitrag wurde verfasst von Katrin Schregenberger.

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