Wiener Forscher entwickeln Tabletten-statt-Spritzen-Technologie
Bald könnte es eine Alternative zu Spritzen geben: Wiener Forschende wollen sie durch Tablette mit Hüllbestandteilen von Mikroben ersetzen.

Das Wichtigste in Kürze
- Wiener Forschende arbeiten an einer Alternative zur bei vielen unbeliebten Spritze.
- Die Hülle sollen teils aus Mikroben bestehen, was den Transport in den Darm ermöglicht.
- Das Produkt hält Magensäure und Schwefelquellen stand.
Spritzen sind nicht jedermanns Sache, Wiener Forscher wollen sie deshalb durch spezielle Tabletten ersetzen. «Hüllbestandteile von Mikroben, die im Yellowstone Nationalpark entdeckt wurden, bringen bei unserer Technologie die Wirkstoffe sicher durch den Magen und entlassen sie im Darm», erklärte der Biotechnologe David Wurm.
Jene Mikroben (Sulfolobus acidocaldarius) wachsen in der Natur in heissen, schwefelhaltigen Quellen und stellen sehr spezielle Ansprüche: nämlich Temperaturen zwischen 75 und 80 Grad Celsius und extrem saure Bedingungen (pH-Werte zwischen zwei und drei).
Tabletten halten Magensäure und Schwefelquellen stand
Oliver Spadiut, David Wurm und Julian Quehenberger arbeiteten am Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und technische Biowissenschaften der Technischen Universität (TU) Wien mehrere Jahre daran, ihnen Laborbedingungen zu bieten, bei denen sie wachsen und gedeihen.

«Wir haben einen neuartigen Bioprozess geschaffen, mit dem wir diese Archaeen unter kontrollierten Bedingungen kultivieren können», erklärte Quehenberger: «Dabei steuern wir Parameter wie die Temperatur und den pH-Wert, und füttern gewisse Nährmedien dazu, sodass sie schnell wachsen.» Dadurch könne man «industriell relevante Mengen an Produkt in pharmazeutischer Qualität» gewinnen. Ein Produkt, das der Magensäure ebenso gut widersteht wie den Schwefelquellen.
Keine durchgehenden Kühlketten benötigt
Die Forscher sind vor allem an den Fettstoff-Bestandteilen (Lipide) der Mikroben-Hülle interessiert. Sie extrahieren die Lipide aus der Zellmembran und machen daraus eine Schutzhülle für Wirkstoffe. In solchen «Liposomen» könne man etwa mRNA für Impfstoffe, Antibiotika oder Schmerzmittel verpacken, berichtete Quehenberger. Diese Substanzen sind darin vor der Magensäure geschützt, die vergleichbar aggressiv ist, wie auch die natürliche Umgebung von Sulfolobus acidocaldarius.

Nachdem sie den Magen passiert haben, haften die Liposomen im Darm an den Schleimhäuten an und geben die Wirkstoffe langsam ab.
Dadurch werden sie besser aufgenommen als bei herkömmlichen Pillen, deren Inhaltsstoffe oft grossteils durch den Darm durchrauschen und ausgeschieden werden, erklärte Spadiut.
«Durch die hohe Stabilität der schützenden Liposome wird auch die Lagerstabilität der Wirkstoffe erhöht.» Sie benötigen deshalb keine durchgehenden Kühlketten, die sehr viel Geld kosten. Das würde auch in abgelegenen Gebieten eine gute medizinische Versorgung vereinfachen, meint er.